2011 kling

2011 • Historiker und Museumsleiter

Burkhard Kling

Gelnhausen 1962

An den Fischeräckern 7 A • 63571 Gelnhausen

E-Mail: burkhard.kling@t-online.de



Burkhard Kling

Es war einmal ...

... eine Reisegruppe, die im Mai Anno Domini 1977 von Gelnhausen nach Stuttgart aufbrach. Am Schloßplatz dort stieg man aus dem Bus und strebte der Bundesgartenschau zu. Nur einer, ein junger Mann, hatte ein anderes Ziel: das Württembergische Landesmuseum, wo just die Ausstellung “Die Zeit der Staufer” gezeigt wurde. Dort allerdings war der nicht mal 15jährige Burkhard Kling aus Gelnhausen keineswegs allein, denn zehntausend Besucher täglich stürmten geradezu das Museum. Unvorstellbar: 670 000 Besucher in 7 Wochen wurden gezählt. Vielleicht hatte Burkhard Kling beim Schlangestehen und dann zwischen all den Urkunden, Siegeln, Münzen und Waffen eine Art Urerlebnis, vielleicht wies dieser Tag zwischen Handschriften, Skulptur und Glasmalerei – vage noch – in eine Zukunft. Sicher war, was Kling nachhause trug – den mehrbändigen Katalog für 45 Mark.

Unser Preisträger, Jahrgang 1962, macht sein Abitur am Gelnhäuser Wirtschaftsgymnasium und studiert ab 1983 Kunstgeschichte, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Ältere Germanistik an der Universität Frankfurt. Er forscht über spätgotische Altarbilder – ein Thema, das man nicht ergoogeln könnte: Man muß den Werken quasi Auge in Auge gegenüberstehen. Burkard Kling tut dies in den großen relevanten Museen in München und Nürnberg. Mit seiner Arbeit erwirbt er 1990 den Grad eines Magister Artium.

7 Jahre Studium? Heute undenkbar. Zum Durchdringen kulturhistorischer Fragen braucht man nämlich Zeit und Kraft, geht manchmal bis zum Rand des Willens. Und auch bei scheinbar abgelegenen Themen: man lernt denken in dieser Phase; ein Wissenschaftler durchläuft – mit einem Wort – nicht nur eine Ausbildung, sondern gewinnt Bildung. Er erweitert seinen Horizont, gewinnt genau dann Scharfblick und Urteilskraft, sprich Kompetenz. Und in dieser ganzen Zeit: Immer wieder Kontakt mit Publikum. Als Schüler schon sammelte Burkhard Kling erste Ausstellungserfahrungen in Gelnhausen. Aktiv war er in der Heimatstadt bis in die Studienjahre hinein als Stadtführer, hinterließ – so erinnert er sich – auch in der Region Spuren, etwa bei zahlreichen Kursen und Exkursionen im Rahmen der Erwachsenenbildung zu unterschiedlichsten kunstgeschichtlichen und historischen Themen.

1988 dann haben die von ihm initiierten neuartigen Erlebnisführungen durch die Stadt einen so großen Zulauf in Gelnhausen, daß Burkhard Kling Führerinnen und Führer inhaltlich trainiert und betreut – ehrenamtlich, wohlgemerkt. Aus seiner Sicht unverzichtbar ist, daß beispielsweise die Kostüme historisch authentisch, also in Schnitt und Material original sind, nicht “schön” sein müssen. Und daß Bezüge von einem “Damals” zum Heute didaktisch angeboten werden, daß das Einst gewissermaßen ins alltagsweltliche Jetzt übersetzt werden kann: Wie hat etwas früher geschmeckt, als es noch Nahrung gegen Hunger war und nicht lukullisch raffiniert wie heute?
Zusammen mit einer Kollegin erarbeitet er ein System der Inventarisierung für die Bestände des Heimatmuseums, damals noch in der Kirchgasse. Nützliche Erfahrungen, um später – studienbegleitend – am Frankfurter Universitätsarchiv mitzuarbeiten.
Ja, immer wieder mal Frankfurt seit Ende der 80er Jahre. Im Historischen Museum am Main beispielsweise wirkt er an einem Ausstellungsprojekt zur Geschichte der Frankfurter Messe (1991) mit. Er ist auch an mehreren Produktionen der Frankfurter Oper beteiligt – als historischer Ratgeber hinter, gelegentlich auch auf der Bühne.

Wir alle, meine Damen und Herren, bekommen es irgendwie mit: Seit nunmehr 20 Jahren strukturiert sich die gesamte Arbeitswelt spürbar um. Traditionelle “Laufbahnen” werden seltener, gefragt ist der “flexible Mensch”, heute hier, morgen dort einsetzbar. Und gerade in den kreativen Berufen bestimmen die Projekte – also zeitlich begrenzte Arbeitsvorhaben – zunehmend das Bild.

1991 wird Burkard Kling für einige Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Burg Ronneburg, macht dort Recherchen für die Bausanierung, stößt museale Projekte an und entwickelt ein museumspädagogisches Konzept zum Thema Kochen und Essen im Mittelalter. Der Deutsche Kunstverlag bringt Klings bis heute beliebten Ronneburgführer heraus.

“Der Schneider band sich den Gürtel um den Leib und wollte in die Welt hinaus, weil er meinte die Werkstätte sei zu klein”, heißt es in einem Märchen der Brüder Grimm. Hinausgehen in die Welt ist ein ehernes Erzählmotiv”. Bei Hans Christian Andersen steht: “Und aus dem Knaben wurde ein Jüngling und er sollte hinaus in die weite Welt, weit fort nach den warmen Ländern, wo der Kaffee wächst.”

Ganz so weit fort will Burkhard Kling 1994 nicht. Er verläßt unsere Region, um an der Universität Osnabrück an dem interdisziplinären Projekt “Bildung in der frühen Neuzeit” mitzuarbeiten. Zurück in die Heimat kommt er 1997. Seitens der Stadt Gelnhausen war ihm eine Stelle angeboten worden, die jedoch kurzfristig anders besetzt wurde.
Schrecksekunde. Doch schon bald eröffnet sich eine Chance – die Chance für zwei, für Burkhard Kling und für die kleine Stadt Steinau. Von heute aus gesehen ist da etwas Einmaliges passiert.

Seit 1998, seit 11 Jahren also, ist Kling für die Stadt Steinau an der Straße tätig und führt dort das “Brüder Grimm-Haus” von einer in jenem Jahr noch schnell als Provisorium entstandenen Einrichtung hin zu einem Museum, das heute über den Main-Kinzig-Kreis hinaus strahlt in die gesamte hessische Museumslandschaft. Seit 2004 endlich auch fest besoldet initiiert er mit dem – nur auf den ersten Blick – lokalen “Museum Steinau” vis-à-vis das bundesweit einzige Museum, das sich – er nimmt den Ort beim Wort – mit dem Thema Straße und Reise beschäftigt. Es wird 2008 mit dem Museums-Förderpreis der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen ausgezeichnet – damit geht dieser Preis erstmals an ein Museum in der Region.

Was für ein beachtliches, ja überbordendes Potential sich Steinau in der Person Burkhard Klings an Land gezogen hat! Um dieses kulturelle Multitalent könnten andere Regionen die unsrige hier wahrlich beneiden. Worum beneiden?

Um erstens: Einen überaus kompetenten, genauen, präzise argumentierenden und sprachlich exakt formulierenden Kulturwissenschaftler, der – auch als Buchautor – kaum eine Auskunft schuldig bleibt. Als Experte für den “dritten Grimm” – den Maler Ludwig Emil Grimm – gehört er längst in die Liga der ernstzunehmenden Kunsthistoriker; beneiden zweitens: um einen spürsamen Spezialisten für geschichtliche Epochen, ihre Symbole und Signaturen. Einen Menschen, der viele Antennen ausfährt, viele Sonden aktiviert, ständig auf Empfang und Sendung und auch verletzlich ist. Aber – als dünnhäutig dürfen, ja müssen kreative Menschen durchaus auch ab und an erscheinen; beneiden drittens: um einen überragenden dramaturgischen Kenner mit einem sicheren Gespür für die Vermittlungsmöglichkeiten von Wissen, er kann Information souverän in sinnlich erfahrbare Bilder umsetzen. Diese Fähigkeit hat Burkhard Kling in einem inzwischen fast schon lebensbegleitenden Kontakt mit dem Theater, speziell dem Musiktheater entwickelt, im Gespräch etwa mit dem Regisseur Nicolas Brieger, an allen bedeutenden Opernhäusern der Welt zuhause; mit Dietrich Hilsdorf, einer der wichtigsten Klassiker-Regisseure und – im Erleben von Wagnerinszenierungen der genialen Brecht-Schülerin Ruth Berghaus.

Auch jedes Museum ist eine Bühne, ein Ort der Performance; inszeniert werden Themen. Besucher spüren durchaus, ob sie in ein Disneyland geraten, wo sie lediglich bespaßt werden sollen, wo ihnen etwas vorgemacht wird. Oder ob sie dem Authentischen begegnen, das auf Substanz gründet. Substanz, aus der heraus Vergleiche und historische Zusammenhänge offeriert werden, wo zur lokalen Brille der thematische Weitblick kommt – man könnte auch Welt-Blick sagen. Substanz – das ist für Steinau auch – Substanz ist auch Elfriede Kleinhans, 2001 mit dem Kulturpreis des Main-Kinzig-Kreises ausgezeichnet. Märchen deklamiert sie nicht, sagt sie nicht auf, sondern erzählt sie – aus sich heraus – und verzaubert ihr Publikum.

Über das Brüder Grimm-Haus und das Museum Steinau sage ich jetzt nichts mehr – außer: Gehen Sie hin, erwischen Sie eine Führung mit Burkhard Kling persönlich. Er führt Sie. Und er führt auch in Versuchung, ein zweites und drittes Mal hinzuwollen und das auch ganz vielen Leuten weiterzusagen.

Eine uns allen wohlbekannte – märchenhafte – Reisegruppe folgte dem Motto: “Etwas Besseres als den Tod findest Du überall!” Für mich, sagt unser Preisträger, für mich hat dieser Spruch aus den Bremer Stadtmusikanten sehr viel Wahrheit und Weisheit.”

Burkhard Kling sagt das wahrscheinlich mit dem Rückblick auf Brüche, Enttäuschungen und Verletzungen in seiner eigenen Biografie. Aber auch mit dem Blick nach vorn, denke ich, nach vorn auf neue, aufregende Pläne. Wir alle können darauf gespannt sein, was sich Burkhard Kling für nächstes Jahr ausgedacht hat.

Die Laudatio hielt
Prof. Dr. Heinz Schilling
Vorsitzender der Kulturpreisjury