1996 curtius

1996 • Literatur

Mechthild Curtius

Kassel 1939

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Mechthild Curtius

"Sie ist das, was man eine "poeta docta" nennt, hat eine wissenschaftliche Karriere hinter sich — in Studentenehe neben zwei Kindern und zum Geldverdienen in Fabrik, Bar und Bibliothek — hat sie Germanistik und Kunstgeschichte studiert, alle möglichen Abschlüsse absolviert, Promotion und Habilitation." Mit diesen verknappten Sätzen begann Landrat Karl Eyerkaufer die Vita von Dr. Mechthild Curtius darzustellen und fuhr fort: "Schon bei der Doktorarbeit erwies sie sich als Liebhaberin der Literatur: als erste in Deutschland, als zweite überhaupt, wählte sie den späteren Nobelpreisträger Elias Canetti 1969, zu einer Zeit, da die Marburger Professoren fragten: Canetti — ist das ein italienischer Sänger? Nehmen Sie doch Brecht."

Geboren in Kassel, aufgewachsen an der Neiße und in Westfalen, zum Studium nach Marburg gekommen, lebt sie seit Mitte der 1970er Jahre in Frankfurt, später, durch die Verbindung mit Olaf Hauke, auch wechselweise in Hanau-Steinheim.

Sie hat viele wissenschaftliche Essays und Bücher verfasst (u.a. Kritik der Verdinglichung in Canettis Roman "Die Blendung", eine sozial-psychologische Literaturanalyse 1973, und zum Thema Kreativität, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1976) sie hat Erzählungen und Romane geschrieben ("Wasserschierling", "Im Rüschenhaus und anderswo", "Neiße und Pleiße"), sie hat Filme gemacht (u.a. "Europäische Provinzen") und sie hat das bildnerische Werk von ihrem Mann Olaf Hauke verdichtet (u.a. "Sprichwörter").

Sie habilitiert sich über Erotische Utopien bei Thomas Mann. Dass sie 1981 zu ihrer venia legendi keinen Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literatur bekommt, war nicht beabsichtigt, aber eine statistische Selbstverständlichkeit — "man bevorzugte Familienväter," bemerkte Karl Eyerkaufer in seiner Laudatio und er kommentierte: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als eine einfallsreiche Frau auf einen Literaturlehrstuhl."

Das missing link dürfte mittlerweile durch Lobesworte (Elias Canetti schrieb ihr: "Lassen Sie sich nicht in Ihrem Schreiben beirren. Die Bücher sind da und jeder kann sich selbst ein Bild von Ihnen machen.") und Preise wettgemacht worden sein. 1988 gewinnt sie ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds und wird im gleichen Jahr mit dem Drehbuchpreis des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen geehrt. Bei der Verleihung des Lichtenberg-Erzählpreises 1989 erklärt Wolfgang Promies: "Mechthild Curtius verkörpert etwas von dem, was Lichtenberg zu seiner Zeit schmerzlich vermisste: die sich artikulierende Frau, die ihre Anschauung von der Welt in einer sinnlichen Sprache mitteilsam macht (…) Ich glaube, Lichtenberg hätte seine Freude an dieser Schriftstellerin gehabt."