Harald Reus
"Harald Reus, Jahrgang 1948, Arztsohn aus Neuses, in jungen Jahren oft krank und ums Überleben kämpfend, hat sich lebenslang mit Gesundheit und Krankheit, Leben und Sterben auseinandersetzen müssen. Die Begegnung von Leben und Tod wurde sein Lebensthema, mit dem er sich besonders in seinen tiefgründigen Radierungen befasst. In seinen symbolträchtigen Arbeiten gibt es keine Wertunterschiede zwischen Mensch, Tier und Baum, Leben und Tod sind so dicht beieinander, dass sie fast eine zärtliche Beziehung eingehen," schrieb Ilse Werder 1989 in einem Artikel für "Hanau kulturell". Aus heutiger Sicht wirken ihre sensibel formulierten Sätze wie ein antizipierter Nekrolog.
Und Alexander Polascheks Nachruf auf den Künstler in der FR vom 30. Dezember 1997 liest sich wie eine inhaltliche Fortsetzung von Ilse Werders Beitrag: "Die Krankheit der Gesellschaft, die mit ihrer Gier und Aggressivität die Welt zerstört, wusste er in seinen anklagenden Bildern so eindringlich zu beschreiben. Die eigene Erkrankung, die ihm die Schaffenskraft raubte, konnte er nicht bewältigen. Harald Reus hat seinem Leben im Alter von 49 Jahren selbst ein Ende gesetzt."
1960, als 12jähriger, hatte Harald Reus sein erstes, ihn prägendes Kunsterlebnis auf einer Ausstellung von Werken des Malers Ernst Fuchs. Zehn Jahre später suchte er Fuchs und andere Mitglieder der Wiener Schule des Phantastischen Realismus in der österreichischen Hauptstadt auf und begann noch im selben Jahr ein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Bis 1974 studierte er bei Professor Kurt Steinel und in der Radierwerkstatt von Eberhard Behr und machte dort sein Diplom im Fachbereich Illustration. 1975 und 1976 verbrachte er als Auslandsstipendiat in Paris und war Schüler von Paul Franck, Colombes.
1976—1982 lebte er freischaffend als Graphiker, Maler und Objektmacher in Seeheim an der Bergstrasse, seit 1982 mit Frau und zwei Kindern in Freigericht-Neuses. Er war 1976 Gründungsmitglied des Berufsverbandes Bildender Künstler in Darmstadt und 1985 Gründungsmitglied des "Heidelberger Malerkreises".
Im Main-Kinzig-Kreis und darüber hinaus wurde sein Name spätestens 1985 ein Begriff. Sein Werk "Ecce", das einen auf dem Frankfurter Autobahnkreuz gekreuzigten Hasen mit Stacheldrahtkrone zeigt, führte zu einem Eklat in einer Kunstausstellung des Kreiskirchentages in Gelnhausen. Dass der Kirchenvorstand nach hitzigen Debatten die Arbeit abhängen ließ, hatte den Abbruch der gesamten Kunstschau zur Folge und löste bundesweit Auseinandersetzungen über die Zensur der Kirche aus.
"Ecce" war später der Mittelteil einer Trilogie mit den weiteren Titeln "Nucleare Zone" und "Tinca Tinca Mal", bestehend aus drei verglasten Holzkästen mit präparierten Kadavern vor Landschaftsreproduktionen in schwarzem Raum auf schwarzen Sockeln. Die Installation war 1990 in der Galerie "Ambiente" in Gelnhausen und 1991 im Gothaer "Club parterre" zu sehen. Werner Kessler kommentierte im Katalog zur Ausstellung: "Im Zeitalter atomarer Friedlosigkeit und organisierter Naturzerstörung kann die Aufgabe der Kunst nur subversiv sein (…) Kunst als kritische Spiegelung dessen, wozu Menschen fähig sind, und zugleich tiefempfundener Ausdruck dafür, wie es anders sein könnte."
"Aderlass", eine Holzskulptur, entstanden aus dem Rumpf der gefällten historischen Rotbuche im Schlosspark Philippsruhe, war Harald Reus’ letzte derartige Arbeit. Mit dem Mahnmal wollte er demonstrieren, wie ignorant heute mit Natur und Kultur umgegangen wird. Die Anklage ging einher mit einem Symbol der Hoffnung, denn aus einem Fragment des Baumtorso schuf Reus ein Taufbecken für die evangelische Kirche von Somborn, für die er bereits drei Kirchenfenster gestaltet hatte.
Außer mit dem Kulturpreis 1989 wurde Harald Reus 1992 mit dem Internationalen Syrlin-Preis ausgezeichnet.
Impressionen von der Ausstellung „Harald Reus – Objekte, Zeichnungen, Radierungen“.
8. Oktober – 8. November 2010 im Main-Kinzig-Forum, Gelnhausen.