Ulla Röhrs 2019

2019 • Darstellende Kunst

Ulla Röhrs

Bremen 1953

www.Festspiele.Hanau.de



Ulla Röhrs

Laudatio auf Kulturpreisträger Ulla Röhrs

Wie man von Bremen nach Hanau kommt? Für Ulla Röhrs einfach von Bremen auf der Deutschen Märchenstraße direkt nach Hanau.

Nein, ganz so war das nicht. Ihre erste Station von ihrem Geburtsort Bremen aus ist Hamburg, wo Ulla Röhrs Kostümdesign an der Fachhochschule für Visuelle Kommunikation studiert. Sie wird Assistentin am Bielefelder Theater. Dort lernt sie den Bühnenbildner Dieter Stegmann kennen, ihren späteren Mann. Beide gehen nach Frankfurt und arbeiten am Fritz-Rémond-Theater und in der Komödie.

Von hier aus ist es ja wirklich nicht mehr weit nach Hanau, wo Ulla Röhrs seit nunmehr 33 Jahren einen – man könnte sagen – kleinen saisonalen Handwerksbetrieb leitet, die Kostümwerkstatt der Brüder Grimm Festspiele. Von Frankfurt aus erreicht sie gut die Orte im In- und Ausland für zeitlich begrenzte Engagements an Stadttheatern oder Festspielbühnen. Hanau, erinnert sie sich: „Wir wussten zunächst gar nicht, wo das lag.“

Kurz nochmal zurück nach Bremen: Ulla Röhrs – in den 60er/70er Jahren dort aufwachsend – erlebt mit, was Theater ist. Oder sein kann. Namen wie Kurt Hübner und Wilfried Minks markieren hier den Aufbruch in eine neue Theaterkultur, die – ja, von Bremen aus! – nach ganz Deutschland ausstrahlt. Ulla Röhrs sieht heute noch Hübner und Minks als prägend für sie. Denn deren Art, Theater zu machen, zog junges Publikum an. Und Schauspieler aus der Ferne, etwa Bruno Ganz, der später einer der großen Schauspieler wurde.

Die Idee, Kostümdesign zu studieren – sagt unsere Preisträgerin – „dieser Impuls kam ganz klar von meinen Theaterbesuchen [in Bremen].“ Mit einem kleinen Aber: „Da ich aber nicht so gern im öffentlichen Blickpunkt stehe“, sagt sie, „kam für mich [damals] nur ein Beruf hinter der Bühne in Frage. Hinzu kam meine Freude an Form und Farbe sowie an Materialien, [also an] Stoffen. Außerdem hatten wir damals ja auch den Glauben, mittels Theater der Gesellschaft den richtigen Weg zu zeigen.“

Ein Satz, den man sich merken kann.

Ein Theater aber, das sich selbst als Wegweiser sieht, braucht einen festen Standpunkt, muss jedoch nicht todernst auftreten. Damit, so Ulla Röhrs, schreckt man ein bisher theaterfernes Publikum eher ab. Emotionen wecken mit einer Aussage – ja! Doch das Lustige, Unterhaltsame sollte die Einladung zum Nachdenken nicht verdecken.

Theater ist Teamarbeit. Die Produktion eines Stück ist ein Schaffensprozess, eine Phase gemeinschaftlicher Kreativität und – vor allem – permanente Kommunikation.

Ganz am Anfang setzt man sich zusammen mit Bühnenbildner, Kostümbildner und Regisseur, der ist in Hanau meist auch Autor des neuen Stücks. Will man Grimms Märchen auf die Bühne bringen, gibt es dafür ja keine üblichen Rollenbücher, das heißt: Die Märchen sind Erzählungen; ihre Texte müssen zunächst dramatisiert, also in Dialoge umgesetzt werden. Anders gesagt: Die Kinder- und Hausmärchen – so heißen original die Grimmschen Sammlungen – liefern ja nur den Stoff, die Geschichte, die Fabel, oder: neuerdings sagt man: den Plot.

Ja, dann sitzt man also zusammen und überlegt. Es werden die ersten Entwürfe gemacht. Man entwickelt quasi im Kopf gemeinsam eine Vorstellung davon, was später mal als Vorstellung über die Bühne gehen soll. Man weiß nicht immer: geht das? Oder: Wie kann’s gehen? Irgenwann – die Uhr läuft – beginnen die Proben. Wieder Diskussion: Was wird geändert? Eines Tages hat man das erste Mal alles zusammen auf der Bühne: Kostüme, Bühnenbild, Licht, bei Musicals natürlich auch Musik. Und immer die Frage: Haut’s hin? Haut’s nicht hin? Was kann ich vielleicht noch verbessern. „Im Idealfall“, sagt Ulla Röhrs, „ist das alles das Perfektionieren einer Grundidee, ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Der Regisseur weiß ja von Anfang an, was er will. Und letztlich wissen dann alle in dem Team: Was haben wir damit vor.

Wenn Ulla Röhrs von der Anfangszeit der Hanauer Festspiele erzählt, dann kommt einem das Wort Sturzgeburt in den Sinn. 1985 stand der zweihundertste Geburtstag der berühmtesten Hanauer, Jacob und Wilhelm Grimm, bevor. Das Jubiläum sollte –open-air – mit „Rumpelstilzchen“ und „Rotkäppchen“ im Park von Schloss Philipsruhe begangen werden. Doch es gab kein eingespieltes Team, die Schauspieler waren meist ungeübt und plötzlich war auch noch der angeheuerte Bühnenbildner verschwunden. Hmm, was tun?

Doch, da gab’s zum Glück jemand, der einspringen konnte. So kam Dieter Stegmann nach Hanau, der dann eine ganze Ära des Theaterschaffens als Autor, Regisseur und Intendant begründete und eine etablierte Hanauer Institution schuf. Zu Beginn aber stand deren Schicksal immer wieder in Frage, weil Jahr für Jahr das Stadtparlament abstimmte, ob das Ganze im Philippsruher Park denn überhaupt weitergehen sollte.

Letztlich aber entschieden die Besucherzahlen darüber, dass die Zögerer und Zauderer nicht Recht behielten. Und irgendwann nannte man im Rathaus der Stadt die Hanauer Festspiele in einem Atemzug mit den Festivals in Bad Hersfeld und im Rheingau. Dies mit Blick auf Dieter Stegmann, der das Hanauer Projekt groß gemacht hatte. Nicht ohne seine Frau, Ulla Röhrs.

Mit der Zeit wurden aus den Brüder Grimm Märchenfestspielen die Brüder Grimm Festspiele – jährlich von Mai bis Ende Juli. Der frühen Tribüne mit 600 Sitzplätzen, die noch jede Nacht samt Kulissen weggeräumt wurden, folgte ein „Amphitheater“ mit einer wetterfesten mobilen Zeltkuppel.

Eine Trennung von Kinder- und Erwachsenentheater hat man nie gewollt, sondern „Theater für die ganze Familie“. Im Programm der Grimm-Festspiele hat sich das nicht verändert, manches aber doch. Es wird immer noch Grimm – aber nicht nur Grimm – gespielt; in der Sparte „Grimms Zeitgenossen“ gibt es etwa auch Kleist, Schiller, Goethe (oft restlos ausverkauft), und Shakespeares „Was ihr wollt“.

Und Ulla Röhrs? Sie bleibt ein ruhender Pol inmitten der Geschäftigkeit eines sehr vitalen, weithin gerühmten Theaterbetriebs – des temporären Großunternehmens Brüder Grimm Festspiele. Sie und ihr Team gelten als ein Markenzeichen der Hanauer Festspiele, die ihrerseits zur kulturellen Substanz der Stadt gehören.

Prachtvolle und originellen Kleidungsstücke lässt das Publikum – noch bevor auf der Bühne irgendwas passiert ist – in jedem Philippsruher Sommer erneut staunen. Historisch korrekte, logisch treffsichere Outfits. Und doch in der typischen Ulla-Röhrs-Handschrift. Für das Stück Rapunzel bekam sie vor 3 Jahren sogar den Deutschen Musicaltheater-Preis für das "Beste Kostüm- und Maskenbild".

Jedes Stück hat seine eigenen Kostüme, bis zu 60 pro Inszenierung gibt es. Einige können recycelt werden, doch aus einem Wolfskostüm lässt sich nur schwer ein Schafspelz machen. Der Fundus im Schloss Philippsruhe platzt inzwischen aus allen Nähten; Abhilfe schaffen Kostüm- Verkaufsaktionen.

Theater sind voller Symbole, am augenfälligsten sind die Kostüme. Manchmal scheinbar zufällig und doch gezielt eingesetzt. Auch andere Accessoires sind mehr als nur wortlose Illustrationen. Kleider sind Signale. Den jungen Mann, angetan mit einer polnischen Pelzmütze und einer weiten Pelerine, der vor dem besten Hotel der Stadt aus einer Kutsche steigt, hält jeder für einen polnischen Grafen. Natürlich. Man tischt ihm beste Speisen auf, richtetet ihm das nobelste Zimmer; er aber sagt kein Wort, lässt die Leute in ihrem Glauben...

Das ist der Anfang einer wunderschönen Geschichte. Sie hat den Titel: Kleider machen Leute. Kleider sprechen. Sie typisieren ihre Träger je als Repräsentanten ihrer Epoche, ihrer Gesellschaft und deren Werte, Ziele, Hoffnungen, Ängste; künden von ihren Tugenden, Idealen und auch den Lastern. Mit einem Wort: Sie zeigen – in der einzelnen Figur – nicht nur deren Persönlichkeit und persönlichen Charakter, sondern auch: die soziale Stellung. Goldbrokat und Sackleinen symbolisieren bereits beim Erscheinen auf der Bühne noch vor dem ersten Wort im Kontrast je das gesellschaftliche Prestiges, Macht und Ohnmacht. Und doch weckt das die Ahnung davon, dass das alles nicht so bleiben wird.

Die Laudatio hielt Prof. Dr. Heinz Schilling (Mitglied der Kulturpreisjury),
12. November 2019, Main-Kinzig-Forum