2018 • Musik
Philipp Schum
Gelnhausen 1995
Philipp Schum
Laudatio auf Kulturpreisträger Philipp Schum
Hallo Harry, hier ist Philipp Schum. Ich hoffe es ist in Ordnung wenn ich dich duze
;-) …zum Abklären der deutschen Interpunktionsregeln sind wir demnächst nochmal verabredet... Musiker halt...
Soweit seine Kontaktaufnahme mit mir, nachdem er die frohe Botschaft aus dem Kreishaus erhalten hatte. Ich hatte das alles nach der illustren Jurysitzung erstmal vergessen, ganz und gar, dass ich in diesem Jahr wieder mal dran bin....
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War es ein Zufall? Fügung? Absicht? Eingebung?
Pünktlich zum Gespräch mit Philipp Schum bog mein liebenswerter Kollege und sein früherer Posaunenlehrer und langjähriger, wie mir scheint, nicht nur musikalischer Begleiter, Jaro Zakoucky in der Musikschule Main-Kinzig im Rahmen seiner täglichen Trainingseinheiten, noch sehr locker und entspannt in den Quintenzirkel ein – dieser nahm im Folgenden seinen Verlauf im Nachbarraum. Die Fachleute kennen sich aus: kein Vorzeichen... ein Vorzeichen... zwei usw.
Frage (Jaro startet nebenan in C-Dur, entspannte lockere Tonlage): „Warum Posaune?“
Die Antwort (nach einer Pause): „Hm...“ (später): „Gute Frage!“
Ich wusste bei so viel Nüchternheit, dem nötigen Ernst, einem ausgeprägten Selbstbewusstsein und tiefer Überzeugung nicht so Recht, ob dies als Kompliment für den Interviewpartner zu verstehen war oder mein bald preisgekröntes Gegenüber meinen vorsichtigen Startversuch ins Gespräch zu kommen einfach nur doof fand.
Schnell stellte sich heraus, die Antwort war nicht mehr so genau zu ermitteln.
Der Nebel (auf meiner Seite) begann sich zu lichten.
Eigentlich begann der musikalische Start mit dem Tenorhorn, „das Mittelding von allem“ im Bereich der dunkleren Klangfarben des Blechinstrumentariums, wobei unser Förderpreisträger viel lieber Tuba gelernt hätte.
Na und dann, nach Lehrgängen und zahlreichen Aktivitäten in Ensembles (in langjähriger Begleitung – immer das Tenorhorn) so allmählich Richtung Ende der Schulzeit – das war jetzt ein kleiner Zeitsprung nach vorne – stellte sich die existenzielle Frage: „Was nun?“
„...ich habe in meinem Leben so richtig ...nichts anderes als Musik gemacht!“
Hm... Die Wege, die sich für den allmählich erwachsenen Tenorhornisten auftaten, nicht sehr zahlreich, aber beachtlich: „Bundeswehr oder Lehramt!“
Und da kam wieder Jaro Zakoucky ins Gespräch. Sie erinnern sich: Mittlerweile im Nebenraum im Quintenzirkel, wenn auch noch etwas schleppend, vorangeschritten. Philipps und meine Stimme hoben sich angesichts der sich steigernden Lautstärkekulisse des Übenden. Jaro Zakoucky riet, folgenschwer für den Orientierung Suchenden, auf Posaune umzusteigen, wenn er irgendetwas mit Musik professionell machen möchte. Diese, die Posaune, hat Philipp, dann „einfach mal als Ausgleich dazu genommen“.
Und, es entwickelte sich eine junge Liebe, ein Klang, eine Vorstellung, ein Klangcharakter, der, wie er meint, zu ihm passt.
So, wie ihn jeder Mensch, jeder Musiker, so Philipp, bewundernswert in der Selektion seiner Worte, für sich finden muss. Schnell stand die Posaune für die Profession, für die Perspektive im Leben, das Tenorhorn für einen Ausgleich, die Liebhaberei, das Hobby.
Fragt man Philipp Schum nach seinem derzeitigen Tagesablauf, dann erfährt man einerseits, dass dieser täglich aus Üben besteht, vier Stunden Minimum, sich andererseits aber auch sehr unterschiedlich gestaltet. „Kein Tag ist wie der andere“, allerdings sein ständiger Begleiter: die Posaune. Dazu kommt der Instrumentalunterricht, den er erteilt oder das Dirigat. Ein Alltag, den Philipp Schum als reizvoll, anstrengend, aber spannend und abwechslungsreich erlebt. Nicht erst jetzt strahlt dieser junge Mensch Überzeugung und Zufriedenheit aus.
Stilistisch ist er immer schon offen für Alles. Alles hat in seinen Augen (und Ohren) sein Gutes und sein... hat er jetzt Schlechtes gesagt?!? Diese negative Sichtweise pflegt er gar nicht! Er strahlt überaus positiv!
Sein Studiengang an der Hochschule, klassisch ausgelegt, bedeutet nicht, Jazz und Popularmusik abzulehnen – auch das gehört zu seinen Hörgewohnheiten. Spezialisierungszwänge allerdings sieht er in der Konkurrenzsituation der Jobsuche in Orchestern, was unangefochten im Vordergrund steht. Gesang und Klavier, ohne weiteres ebenso eine Vorliebe, sind entsprechend verdrängt in den Hintergrund.
Philipp signalisiert ununterbrochen seinen Wissensdurst, Jaro Zakoucky, im Nebenraum, seine Bereitschaft zur nächsten Oktave nach oben.
Nach der Schulzeit (zuletzt GGG), bereits Jungstudent während dieser an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst bei Oliver Siefert, mit 17 Jahren, war die Perspektive klar. Nahtlos ging Philipp in das Studium. Längst sind schulische Pflichten und Hausaufgaben selbstsicher liegen geblieben. Klar, wer macht schon Hausaufgaben, wenn er weiß, dass er Posaunist wird. Die Abiturnote ließ sich nicht mehr ganz genau recherchieren: „Oh je, das weiß ich gar nicht mehr so genau, muss ich erstmal nachschauen... Ich glaube...“ Oh! Ich suchte natürlich sofort nach einem Ausweg aus dem Gesprächsdilemma, Jaro nebenan zeitgleich nach seinem im vierten Zug der Posaune, und fragte nach den Stärken in der Schule:
Philipp schmunzelte: „Keine“! (keine?) „...Musik natürlich!“ Stärken... Interesse ja, aber alles was über Musik hinausging, fiel der ständigen Sinnfrage Philipps zum Opfer, gegenüber der Musik! Befreit verließ er die Schule.
Bachelorabschluss 1,0 (Zeitsprung, Sie haben es unschwer gemerkt)
Derzeit im fortschreitenden Studium im Urlaubssemester wegen einer Stelle in Leipzig beim MDR und weiterer Probespiele, die geplant waren und sind. Außerdem, so der Preisträger, ist es ganz entspannt sich mal aus dem Lehr- und Lernbereich zu entfernen.
Früh bot der Heimatverein – mit den verschiedenen Dirigenten, eine angemessene Ebene zu lernen, sich durchzusetzen, oft alleine in seiner Stimme, an seinem Pult. Es folgte das Sinfonisches Blasorchester Main-Kinzig, ein erster Weg über den Tellerrand hinaus nicht nur zu schauen, auch zu gehen.
Arbeit war seit jeher tägliches Muss.
Später saß Philipp mit seinem Lehrer Jaro Zakoucky, (da fiel mir auf, dass es im Nebenraum ganz still wurde, da wird doch nichts passiert sein?) ...saß Philipp im Main-Kinzig Kammerorchester. Ein Sinfonieorchester, das war etwas anderes, als das bislang vertraute Blasorchester. (Gott sei Dank, Jaro ha ...)
Dann das Landesjugendsinfonieorchester Hessen, die Orchesterwerkstatt für die Jugend der Philharmonie Merk DA. Am Anfang der neuen Herausforderungen stand immer die Arbeit, das Kämpfen und Reinarbeiten – am Ende immer die Belohnung am ersten Pult.
Dann das Studium, extrem viel Lernen, es galt, das Defizit in spielpraktischen Belangen auszugleichen. Der Kopf kam immer klar, aber der späte Posaunist hatte aufzuholen. „Ich kam mir vor wie der letzte Blödmann“. Nach den ersten Stunden waren die Tränen der Ermüdung und Enttäuschung nicht zu verbergen.
Das späte Beginnen erforderte einen unglaublich hohen Übe-Aufwand. Das war ok. Es war immer klar. Philipp arbeitete doppelt und dreimal so viel wie die anderen, um konkurrenzfähig zu werden. „Vom Kopf her hätte ich eigentlich aufgeben müssen...“
Talent ist eine Sache, Arbeit und Durchhaltevermögen, Wille, Kraft und Konsequenz aber die andere. Und das gilt es immer einzuschätzen und da war stets die Gefahr im jungen künstlerischen Leben, sich zu überschätzen.
Soviel Ernst, meine Damen und Herren, diese Strenge im Umgang mit sich selbst... nüchtern, wie er sich mir präsentierte, überzeugt, überzeugend, ganz charmant, und irgendwie doch locker... selbstsicher!
Sein Prof. riet ihm stets ruhig zu bleiben, durchzuhalten und abzuwarten und irgendwie strahlt er das auch aus, hat er sich das, neben den zahlreichen musikalischen Mitbringsel aus seinem Studium und Leben erhalten, und das griff auch schnell auf unser Gespräch über, sachlich, vertraut, entspannt, ich habe es genossen, diese Ausstrahlung, alles wirkt jung, positiv, stressfrei...
Ganz im Gegenteil zu Jaro Zakoucky, um ihn nicht ganz zu vergessen, der im Nachbarraum mühsam um die Höhen des viel zu tiefen Instruments für die angestrebten Bereiche mit der Physik und seinen Lippen kämpfte.
Probespiel Junge Deutsche Philharmonie gewonnen, Praktikumsstelle beim MDR, das Gießener Stadttheater klopfte an, andere Profiorchester folgten, Oper Frankfurt, HR Sinfonieorchester.
Ich forderte ein Wort oder ein Satz auf die Frage nach seinem Ziel: (Pause). Was den Job anging war klar: „Die Orchesterstelle, aber was das Leben im Ganzen betrifft? Da gibt es viel Luft...“ Der Musik- bzw. Instrumentallehrer, der kann auch glücklich werden. In Philipps Augen gibt es Menschen die sich zu sehr fokussieren, die ihre Enttäuschungen vorprogrammieren.
Philipp: “...in einem Orchester, in dem du dich nicht wohlfühlst, willst du nicht spielen, so willst du nicht leben, nicht um jeden Preis – Ich möchte eigentlich MUSIKER sein!“
Musizieren geht unter anderen Umständen sehr wohl auch. So gibt es ein Posaunenquartett in Frankfurt, konzertierende Kommilitonen neben zahlreichen kleinen Projekten, alles, was das vertraute Terrain der ernsten Musik zulässt, interessiert.
Der Tagesablauf - ist abhängig von dem Abend davor: 8h Aufstehen, 9h an der Posaune, eine Stunde Einspielen, Kaffeepause, Gespräche, bis mittags Üben, bis der Magen knurrt, danach Unterricht geben, wenn nichts anliegt, weiter Üben.
Wenn unser Preisträger zuhause ist, fährt er Fahrrad, erlebt die Natur, sucht dabei das Besinnen, sich Finden, Auftanken, raus, weg von Allem, oft schnell unterwegs. Ganz bei sich sein. Das hilft bei Enttäuschungen - eine war der Auslöser zu dieser Vorliebe. „Ich bin ambitionierter Fahrradfahrer, aber ich sehe nicht so aus. Einfaches Gefährt, die Anstrengung ist das Wichtigste, ich fahre schnell, power mich aus... die Klamotten, Marke, der Chic interessiert überhaupt nicht.“ Fitness, ganz wichtig für den Musiker, wie er meint, den Bläser, was Herz, Kreislauf und die Atmung angeht.
Imposant! Es bleibt bei allem Stress irgendwie Zeit für Ablenkung, sich zu treffen, auch Zeit zu verquatschen. „Heute bin ich kein Knecht meines Instrumentes mehr.“ (Jaro strahlt kurz vor der Zielgeraden auf seiner Tour durch den Quintenzirkel gerade etwas anderes aus…)
Gelassen lehnt sich Philipp zurück: „Es darf heute, bei allem Fleiß und aller Verantwortung auch mal etwas weniger sein – du musst auch Mensch sein, gerade auf der Bühne, was deine Ausstrahlung angeht, Persönlichkeit zeigen, nicht nur sportlich virtuos hochleisten. Ich gucke heute darauf, worauf ich gerade Lust habe, oft denke ich dann aber doch immer wieder: ‚hm... könntest jetzt eigentlich auch Üben.‘“
Und dann erfreut sich Philipp an dem guten Klang seiner Posaune und seines Spielens. Die eine Stunde des Einspielens täglich, auch im Krankheitsfall, gibt es seit vielen Jahren, die Übungen sind annähernd immer gleich. Das schafft einen ganz wichtigen roten Faden, Vertrauen in das eigene Können, die korrekte Einschätzung seiner selbst.
Es gibt die Wohnung zuhause in Biebergemünd bei den Eltern, eine in Frankfurt und in den Probephasen auch eine in Leipzig. Er ist überall, aber nirgends so richtig... höre ich da Kritisches, bin mir nicht sicher... – es ist anstrengend, wie er sagt. Es bietet sich natürlich dadurch wenig Zeit, neue Menschen kennenzulernen, alte Kontakte zu pflegen, es zeigen sich auch Verluste an Beziehungen. – Einzelgänger? Als Musiker bist du oft unterwegs, oft missverstanden, nicht nachvollziehbar durch deine Mitmenschen, die immer befremdet auf die musikalische Besessenheit, den Übe-Aufwand schauen.
Viele sagen, ohne dass unseren überzeugten Preisträger das tangieren könnte: „das wird doch eh nix!“ „Ich bin nicht angetreten, um später soundsoviel Millionen auf mein Konto zu scheffeln. Klar braucht man Geld zum Leben, aber auch einen Sinn! In meinem Umfeld haben die Menschen oft überhaupt keinen Spaß an der Arbeit. Ich bin mir zu wertvoll, mich selbst zu geiseln zu etwas, wozu ich keine Lust habe.“ Philipp erscheint das Musiker-Leben wesentlich freier, als ein Bürojob, ich denke, dabei tritt die gnadenlose Selbstausbeute des Freischaffenden in unserer Gesellschafft, auch des erfolgreichen, doch etwas in den Hintergrund.
Ich frage unseren zu Ehrenden nach drei Charakterzügen von sich:
„Aufgeschlossen“ kommt sofort, „manchmal in mich gekehrt“ nach einer Weile, danach folgt eine Pause. Erläuternd: „Gegenwind von Menschen führt mich, bei aller Geselligkeit manchmal zur Abkehr.“ Die darauf folgende Frage nach dem Einzelgänger konnten wir nicht so recht auf den Punkt beantworten.
Ich frage unseren Kulturpreisträger nach den für ihn wesentlichen drei Komponisten. Hierauf war die spontane Antwort: „Schwierig!“ Dann: „Rimski Korsakow – emotional ganz wichtig.“ Es war das erste Konzert, das Philipp Schum auf der Posaune spielte. Wir kamen dann noch zu Anton Bruckner – zwangsläufig –, der für alle Blechbläser ein Muss darstellt.
Ich frage weiter nach drei Menschen, die von erwähnenswerter Bedeutung für ihn sind (waren). Die Antworten kamen ohne zu Zögern: „Die Eltern, nicht weil man das sagen muss“. Gemeinsam mit ihnen hat er dem ein oder anderen Gegenwind im noch kurzen Leben getrotzt. Sie standen immer hinter den Entscheidungen, nicht nur durch den nicht unbeträchtlichen Finanzaufwand, üblich in einer Familie mit einem werdenden wirklich professionellen Musiker. „Die Cousin und der Cousin – Kassel – ganz wichtige Freunde für Freizeit und gemeinsamem Austausch.“ Und: „Jaro.“
Mensch den hatte ich ganz vergessen, Jaro Zakoucky und diesem Moment kam er, völlig fertig nach zwölf Tonarten des Weges, nicht des Ziels, aber glücklich und zufrieden zur Tür rein, um mit Philipp ein paar Stücke gemeinsam zu musizieren. Ohne ihn, den Lehrer, den Freund, wäre Philipp Schum diesen Weg nie gegangen.
Philipp Schum, für den Main-Kinzig-Kreis ein Meilenstein auf der Suche nach einem Menschen auf für sein Alter außergewöhnlichem Niveau, und wahrlich professionellem Hintergrund.
Herzlichen Glückwunsch!
Die Laudatio hielt Harry Wenz, Leiter der Musikschule Main-Kinzig (Mitglied der Kulturpreisjury),
13. November 2018, Main-Kinzig-Forum