Maria Dorn
Laudatio auf Kulturpreisträger Maria Dorn
Es ist mir eine besondere Ehre, im Namen der Jury des Kulturpreises des Main-Kinzig-Kreises der sowohl künstlerisch wie auch persönlich begeisternden Fotografin Maria Dorn (app)laudieren zu dürfen, obwohl doch die Worte eigentlich nicht mein Ausdrucksmittel sind. - So habe ich mich entschlossen, Ihnen im übertragenen Sinne ein Bild der Künstlerin zu zeichnen.
Eine rasch hingeworfene Skizze würde für mich folgendes Fazit ergeben: = hingehen, sehen, innehalten, genießen UND denken, schmunzeln, staunen, berührt sein, etwas mitnehmen = oder einfach ein „Wowww, so geht Fotografie auch“.Aber da ich ja ganze 12 Minuten für meine Rede zur Verfügung habe, spitze ich erst einmal den Stift und besuche die Vernissage der aktuellen Ausstellung „Out of the box“ von Maria Dorn. Sie zeigt ihre Kunst beim Hanauer Kulturverein in der Remisengalerie des Schlosses Philippsruhe. Um ein objektives Bild der Fotografin zu zeichnen, habe ich mir zur Aufgabe gemacht, die Meinungen der Besucher einzufangen und für Sie festzuhalten. Ich kann Ihnen versichern, kein leichtes Unterfangen, denn obwohl ich sie bereits zwei Stunden vor Beginn der Ausstellung „sehen“ durfte, fangen mich die Fotografien an den Wänden immer wieder ein.
Also ist Konzentration angesagt: Erst einmal eine Skizze aufs Blatt, wichtige Eckpunkte des Bildes festlegen, Strukturen schaffen.
Die Künstlerin ist Wahlhanauerin. Dort ist sie im wahrsten Sinn des Wortes gleich doppelt „zuhause“. Geboren in Ingelheim am Rhein - das Geburtsjahr ist hier absolut unwesentlich, denn ihre Kunst ist eindeutig jung, frisch und modern -, bekam sie durch die Liebe eine neue Verortung in Hanau/Großauheim und einen - passend zu ihrer Kunst – „knackigen“ Künstlernamen: Maria Dorn.
Mit der Kamera ihres Mannes begann sie, die beiden Kinder zu portraitieren. Die Aufnahmen fanden Beachtung und ihr Interesse an der Fotografie war geweckt. VHS-Kurse lehrten erstes fotografisches Grundwissen. Einige Jahre später belegte sie bereits den sechsten Platz beim Wettbewerb „Blende“.
Aber erst als sie Hanau für einige Jahre verlassen musste, da der Beruf ihres Mannes einen Umzug der Familie in die USA verlangte, fand sie den Weg zu ihrer ganz persönlichen Form des künstlerischen Ausdruckes. Sie sagt: „In den USA habe ich das Sehen gelernt“. Nicht aber die Stadt an sich, New York, sei der Grund für diese neue, im höheren Maße erlangte Wahrnehmung. Es eröffnete sich ihr eine neue Form des „Bewusstseins“, auch in einer, wie sie selbst sagt „Persönlichkeitsentwicklung“ begründet. Schnell fand sie mit ihren Arbeiten Zugang zu einer Fotografen¬vereinigung, die sie sofort in die Gruppe der professionellen Künstler einordnete. Die Schulung des Sehens an namhaften Fotografen in amerikanischen Museen und Galerien gehörte ebenso zu ihrer Entwicklung. Begeistern konnte sie sich für die Arbeiten von Dorothea Lange und Walker Evans. Trotzdem formte sie ihren ganz eigenen Ausdrucksstil.
So folgten, wieder zurück in Großauheim, schnell auch internationale Auszeichnungen. Zwei dieser prämierten Werke finden Sie im Übrigen hier ausgestellt. Auch Aufträge der United Nations Womans Guilt darf sie sich in die beeindruckende Vita schreiben. Sollten Sie mehr über den Werdegang der Künstlerin erfahren wollen, darf ich Sie auf ihre Webseite verweisen, denn ich zeichne an dieser Stelle weiter an anderen Eckpunkten meines Bildes der Fotografin, die ebenso prägnant für sie sind.
Schnell fand sie auch ein zweites Zuhause im Hanauer Kulturverein, in dem sie sich seit Jahren als Vorstandsmitglied engagiert, seit diesem Jahr als erste Vorsitzende. Wenn Sie Maria Dorn nicht hinter dem Sucher einer ihrer Fotoapparate oder in Großauheim finden, dann ganz bestimmt in der Remisengalerie. Sie hat es sich mit ihren Vorstandskolleg*innen zur Aufgabe gemacht, dort Künstlern aller Bereiche, die sich durch die Qualität ihrer Arbeiten auszeichnen, eine Plattform zu bieten. Sie macht es ihnen mit großem Erfolg auf ihre unnachahmlich herzliche und unprätentiöse Art möglich, dort ebenfalls für eine Ausstellung, Lesung, einen Musikabend zu Hause zu sein.
Die grobe Skizze meiner Zeichnung steht. Nun gilt es, sie mit Substanz zu füllen. Kein Problem für die Besucher der Ausstellung „Out of the box“. Aber es eint sie alle, dass keiner weiß, welche Stifte man zuerst nutzen sollte, die harten oder die weichen.
Ich entscheide mich zuerst für einen Harten, denn es ist wirklich hart für Klaus, ihren Mann, wenn Maria „ihr“ Motiv entdeckt hat. So manche Vollbremsung irgendwo in der Welt oder fast vor der Haustür hat er dafür schon hinlegen müssen, Wendemanöver an riskanten Stellen inbegriffen. Wenn sie ein Motiv „entdeckt“ hat, dann muss dieses „eingefangen“ werden. Der Augenblick zählt. Spontanität, Intuition, Direktheit und Meinungssicherheit gehören unbedingt zu den Eigenschaften der Arbeit von Maria Dorn. Da gibt es kein „Wenn und Aber“, da muss M/man(n) durch.
Ähnlich hart ist es mit dem Equipment. Es muss mit – und sei es nur beim Einkauf im Laden um die Ecke. M/man(n) weiß ein Lied davon zu singen. Notfalls geht „die kleine“ Kamera in den Einkaufsbeutel. Fragen Sie die Künstlerin einmal nach „dem verlorenen Bild“ im Supermarkt. Wohlgemerkt: Dieses Ereignis ist schon Jahre her. Großer, breitschultriger Hüne Typ Hardrocker mit Einkaufswagen, im Sitz für Kleinkinder: ein Teddybär, sonst nichts.
Sollten Sie sich getraut haben zu fragen, wissen Sie, dass der Verlust eines Augenblicks für Maria Dorn echt hart ist.
Die Alltagssituationen, das scheinbar Banale, die bürgerliche „Ordnung“, das sind die Themen, aus denen die Fotografin schöpft. Sie entreißt sie der Umgebung, bearbeitet sie oft nicht einmal, obwohl es technisch möglich wäre, und führt uns so „die Wahrheit“ vor Augen. „Out of the box“ eben.
Dabei entblößt sie niemals, sie führt niemals vor. Sie führt uns vor Augen, was bereits da ist. Und das kann wirklich hart sein, obwohl es doch nur ein Augenblick unseres Alltages ist.
Hier spitze ich den Stift nach, schleife ihn an und widme mich den beiden Arbeiten der Fotografin „Geraniaceae I und II“, eine Gegenüberstellung zweier Arbeiten, die auf den ersten Blick folgende Situationen zeigen:
Foto I: ein bürgerlicher überdachter Hauseingangsbereich aus den 60er/70er Jahren, der Weg bis zu den Treppenstufen ausgelegt mit sehr grünem Kunstrasen, darauf links und rechts drapiert weiße Figürchen, Zwerge, Rehe, Schäfchen usw., links ein Geländer mit Geranien.
Foto II: ein alt-ehrwürdiges Grab mit Steinkreuz und schwarzer Granitplatte, links und rechts schmiedeeiserne Lampen, Treppenstufen vor der Grabstätte, die komplett mit sehr grünem Rasen bedeckt ist, darauf – Sie werden es ahnen – Geranien.
Ganz augenscheinlich für uns als Betrachter, und wie es auch die Künstlerin formuliert: „bürgerliche Ordnung, die ästhetisch voll daneben ist.“ Wir sehen sofort die Doppelungen, die beiden Fotos innewohnt in Farben, Formen und gewissen „Schönheitsidealen“. Nehmen wir uns Zeit und lesen den Titel, beziehen ihn in unsere Betrachtungen und unser Denken mit ein, dann wird der Fokus durch Maria Dorn ganz eindeutig auf die Geranien gelenkt, mit denen beide Ansichten „dekoriert“ sind. Widmen wir uns der Herkunft dieser ach so deutschen Blume, stellen wir schnell fest, dass sie ein Migrant ist und eigentlich aus Afrika stammt. Das Bild von Deutschland konterkariert sich selbst? Das Bild von Deutschland konterkariert sich selbst! Und Maria Dorn führt uns das schonungslos vor Augen.
Genauso geht es uns, wenn wir ihre Arbeiten „Annäherung an eine Hanauer Sinti-Familie“ sehen. Sie lassen uns auf extrem ästhetische Weise - und damit besonders intensiv - deren Lebensumstände erfahren. Es ist die Familie des mit dem Kulturpreis ausgezeichneten Vano Bamberger.
Oder betrachten wir das Buch „Bilder der Flucht“, das Maria Dorn mit ihren Fotos prägte. Um Hass und Vorurteilen keinen Raum zu geben und Menschlichkeit in den Vordergrund zu stellen, lichtet sie sowohl Flüchtlinge als auch Helfer ab. Sie lässt sie in unsere Mitte treten, ehrenamtlich natürlich, ohne Aufhebens, aber zielstrebig, gesellschaftskritisch und authentisch. - Die Porträts sprechen für sich.
Und hier benötige ich dann auch die weichen Stifte. Denn die Fotografin und der Mensch Maria Dorn sind nicht zu trennen. Brennt ihr Herz für ein Thema, wird auch der Fotoapparat genutzt. Sie bewegt etwas in den Köpfen mit ihrer Kunst, aber auch in den Herzen.
Nie werde ich die Ausstellung vergessen, an der ich ihrer Kunst und ihr als Mensch zum ersten Mal begegnet bin. „Alles kuriert“, eine Gemeinschaftsausstellung zusammen mit Künstlern aus der Beneluxregion im Willeminenhaus, Bad Orb. Sie hatte den Raum meinem schräg gegenüber. Mein Sohn, damals in der Pubertät und vielleicht nicht ganz so begeistert, auf eine Ausstellung zu gehen, betrat den Raum der Fotografin und ich hörte nur zwei Worte: „Mein Bild!“ Die bloße Begeisterung. Gekauft – und meinen Sohn zum Sammler gemacht. – So leicht geht´s! Was braucht es da noch Mütter?
Oder diese feine Prise Humor, die viele ihrer Bilder würzt. Ein mondän geschwungenes schwarzes Geländer eines breiten, weißen Treppenaufganges in einem Schloss hängt in der Ausstellung neben einem Bauchansatz eines Elvisverschnittes, der an seiner weißen Hose eine schwarze Bordüre trägt mit fast exakt dem gleichen Schwung wie das Treppengeländer.
Poetische Augenblicke, die von den meisten übersehen werden ob der mutmaßlichen Gewöhnlichkeit, die nicht lohnenswert erscheinen, hält sie fest, fügt sie neu zusammen. Sie lässt (frei nach Spoerri) den Zufall als Meister zu, gibt die Kontrolle ab. Dazu gehört eine unbeschreibliche innere Größe.
Meine Zeichnung ist vollendet – wie sollte es anders sein: der Main-Kinzig-Kreis Kameradeckel am Bande.
Machen auch Sie sich ein Bild und nutzen die Gelegenheit, die um eine Woche verlängerte Ausstellung der Künstlerin, zu der auch ein Katalog erschienen ist, in der Remisengalerie zu besuchen. Hingehen, sehen, innehalten, genießen UND denken, schmunzeln, staunen, berührt sein, etwas mitnehmen = oder einfach ein „Wowww, so geht Fotografie auch“.
Die Laudatio hielt INK, Küstlerin (Mitglied der Kulturpreisjury),
13. November 2018, Main-Kinzig-Forum