Erhard Bus
Laudatio auf Kulturpreisträger Erhard Bus
Vor kurzem reiste Erhard Bus nach Genf. Warum Genf? Erhard Bus war unterwegs in Sachen Louis Appia. Louis Appia?
Doktor Louis Appia ist 1863, zusammen mit Henri Dunant, einer der fünf Gründer der internationalen Rotkreuzbewegung, die ihren Sitz seitdem in Genf hat.
Warum nun interessiert sich Erhard Bus, unser Preisträger, für das Rote Kreuz, für Henri Dunant, für einen Dr. Louis Appia?
Die Antwort: Appia ist in Hanau geboren, 1818 – vor genau 200 Jahren also – als Sohn einer Migrantenfamilie aus dem Piemont, der Vater ist Pfarrer an der Wallonisch-Niederländischen Kirche zu Hanau. Der Sohn Louis studiert in Heidelberg Medizin, macht als junger Arzt in Paris Erfahrungen mit der Versorgung von Verwundeten bei der Februarrevolution 1848 und in Frankfurt dann im September beim Barrikadenkampf an der Konstablerwache. 1859 erlebt Appia als freiwilliger „Feldchirurg“ die Schlacht von Solferino mit mindestens 30.000 Gefallenen mit – die ihn wohl prägendste Erfahrung.
Die zentrale Rotkreuz-ldee seit der Gründung 1863 ist, Hilfe zu leisten den Verwundeten ohne Ansehen der jeweiligen Seite. Das Rotkreuz-Zeichen als Umkehrung der Schweizer Nationalfarben (weißes Kreuz auf rotem Grund) ist eine Idee von Dr. Appia und er ist bei der Schlacht auf den Düppeler Schanzen 1864 der erste Helfer, der mit diesem Symbol als Beobachter des Roten Kreuzes auftritt – die heute größte humanitäre Bewegung der Welt. Die Genfer Konvention – begründet im selben Jahr – gilt seitdem als Teil des humanitären Völkerrechts; eingebunden heute sind rund 200 Staaten.
Das ist – wohlgemerkt – nur ein Beispiel für Themen, die Erhard Bus bearbeitet. Er geht den Dingen nach, fragt: Wie geschah was, wie kam es dazu und was waren die Folgen? Wer sind die Akteure der Geschichte?
Allein kam Erhard Bus nicht in die Schweiz. Er gehörte zu einer Hanauer Rotkreuz-Delegation als Gäste eines wissenschaftlichen Appia-Symposions, auf dem Bus ein Referat hielt über das Hanau des jungen Louis Appia im frühen 19. Jahrhundert. Höhepunkt der Reise war die Enthüllung einer Appia-Gedenktafel in der Genfer Altstadt sowie das Wiedersehen mit mehreren Appia-Nachfahren, die im Frühjahr bereits Hanau besucht hatten.
Zum Hanauer Programm zu Ehren Appias gehörten dann ein Gedenkgottesdienst in der Wallonisch-Niederländischen Kirche, eine Ausstellung im Stadtladen Hanau und zuletzt ein Vortrag von Erhard Bus. Wichtig für den Historiker ist das Herantragen seiner Forschungen an die Öffentlichkeit z.B. mit Ausstellungen und Vorträgen. So will er wissenschaftliche Recherche und Reflektion sinnlich erfahrbar machen.
Erhard Bus wurde 1953 in Windecken geboren. Er studierte Geschichtswissenschaft in Frankfurt bei Lothar Gall, einem international renommierten Experten für die deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Und Bus lernte, wie man Sachen auf den Grund geht und Perspektive und Horizont entwickelt.
Was heißt „auf den Grund gehen“? Geschichtslehrer wollte Erhard Bus nicht werden. Er erwarb den akademischen Grad eines Magister Artium und entschied sich, als freischaffender Historiker tätig zu sein. Fachwissen und Know-how brachte er als eine Art Werkzeugkasten mit: Wie finde ich Material für ein bestimmtes Thema? Archivrecherchen bieten meist den ersten Zugang – Personaldokumente, Urkunden, Protokolle, Heirats- und Taufregister, Auswandererlisten – je nach Epoche. Bild- und Zeitungsarchive nicht zu vergessen. Briefwechsel, Erinnerungen und Selbst¬darstellungen in Jubiläums- und Festschriften sind wichtig, ebenso der Griff zu dem, was vorher schon über das Thema geschrieben wurde, also zur Sekundärliteratur. Spurensuche vor Ort mit Zeitzeugeninterviews gehört zum Inventar des Werkzeugkastens.
Das sind nur ein paar Stichworte zur Materialgewinnung – ad fontes: Zu den Quellen! Noch bevor aber dann das erste Wort geschrieben oder das Konzept für eine Ausstellung entwickelt ist, wird das Material kritisch gesichtet.
Das publizistische Wirken des Historikers Erhard Bus verzeichnet bis heute gut 60 Titel: das sind 14 eigenständige Bücher plus ein halbes Hundert – zuweilen sehr umfangreiche – wissenschaftliche Arbeiten in Fachzeitschriften, oft des sehr vitalen Hanauer Geschichtsvereins. Im Main-Kinzig-Kreis steht für ihn das Magazin des Zentrums für Regionalgeschichte immer offen.
Erhard Bus als freischaffender Historiker plant und organisiert, forscht und schreibt nicht ins Blaue hinein. Er orientiert sich, denke ich, an Aufträgen, die ihrerseits sich an Gedenktagen und markante Geschichtsdaten orientieren. Hier hat er einen eigenen Stil, der – ja, man kann hier von einem Markt sprechen – hier längst breite Anerkennung findet. Das beginnt 1988 u.a. mit seinem Engagement im Geburtsort Windecken bei der 700-Jahrfeier zur Stadterhebung. Er fragte beim Rückblick auf das Jubiläum von 1938: Wie wurde das damals gemacht, als die Nazis die Gestaltung des Festzugs festlegten und Einwohner quasi verpflichteten zum Mitmachen? Und: Wie sollte ein Jubiläum nun unter demokratischen Vorzeichen aussehen? Eine erste Antwort war die freiwillige Mitarbeit vieler Bürger. Eine andere dann sein Konzept für den Festzug, historisch getreu, doch keine Geschichts-Nachhilfe auf Rädern, sagt er, und – vor allem – ohne Klamauk.
Erhard Bus ist nicht nur Historiker in unserer Region, sondern auch Historiker für unsere Region. „Region“ bedeutet für ihn, wo die Themen angesiedelt sind und auch wo er Vorträge hält – das geht „von Wiesbaden bis Schlüchtern, von Darmstadt bis Butzbach“. Für das laufende Jahr hatte er 23 Auftritte, vor acht Tagen den letzten, „das langt aber jetzt mal“, sagt Erhard Bus und atmet auf.
Die Landkarte seiner Aktivitäten lässt ihn sagen: „Ich bin rhein-mainisch“, was sicher stimmt, aber er ist im Kern noch etwas anderes: Erhard Bus ist Windecker. Was keine Gebietsreform mit ihren Bindestrich-Ortsnamen aus der Welt schafft.
Orte – sind das nicht Heimaten mit zuweilen doch recht verletzlichen Identitäten?
Meine Damen und Herren,
in den letzten Tagen gab es mehrere Gedenktage: Matrosenaufstand, Revolution, Ausrufung der Republik, Kapitulation im Wald von Compiègne. Macron und Merkel. Vorgestern dann das Weltereignis mit vielen Staatsgästen in Paris. Bei der Fernsehübertragung schwebte zuweilen der Triumphbogen wie eine Fata Morgana über den Champs Elysées. Große Oper, große Rede.
Ich sehe den Arc de Triomphe und erinnere mich, dass das Wort „Hanau“ dort eingraviert ist. Hanau auf dem Triumphbogen? Ja, das Monument verzeichnet alle Schlachtorte Napoleons und dazu gehört Hanau, Ort der Schlacht von Hanau Ende Oktober 1813. Ein napoleonischer Triumph zum Preis von 15.000 Toten.
Das weiß ich nicht aus der Schule sondern aus dem Buch „Hanau in der Epoche Napoleons“, einem Band mit fast 400 Seiten, an dem Erhard Bus mit 5 Einzeltexten auf 100 Seiten mitgeschrieben hat.
So verknüpft sich die aktuelle Übertragung aus Paris – Gedenken an die „große Geschichte“ –mit der „kleinen Geschichte“ an einem Ort in meiner Nähe.
Damit will ich ein Gestaltungsprinzip im Werk von Erhard Bus andeuten: Das Verknüpfen von „Großer Geschichte“ in nationaler und internationaler Dimension mit den Orten der Region, die der Historiker beschreibt, wo real und konkret etwas stattfand. So verdeutlicht er etwa mit der Ortschronik von Klein-Auheim sinnfällig auch die Karriere eines Bauerndorfs durch die Industrialisierung (Stichworte Gummi-Peter, Bauer-Fahrräder, Druckerei Illert) und deren Niedergang.
Ein anderes Beispiel: Das jüngste Werk von Erhard Bus widmet sich der Geschichte einer großen Hanauer Anwaltskanzlei. Gegründet 1817 als „Freie Advokatur“ von Bernhard Eberhard, einem jungen Mann aus Schlüchtern. Man liest die spannende „Unternehmensgeschichte“, und wie als Beifaden geht es auch um 200 Jahre deutsche Rechtsgeschichte und, genauer, um Rechtspraxis. Dies in einem – von Text und Gestaltung her – wahren Prachtband: Kompetent, souverän, seriös und: „ohne Klamauk“. Ein kleines Meisterwerk der Geschichtsvermittlung.
Lieber Herr Bus,
vor zwei Wochen feierten Sie einen persönlichen Gedenktag – Ihren 65. Geburtstag. Im laufenden Jahr hatten Sie 23 Vortrags-Auftritte, vor acht Tagen den letzten. „Das langt aber jetzt mal“, sagten Sie danach. Ich hoffe, Sie verabschieden sich nicht in den Ruhestand sondern haben bereits neue Themen am Wickel.
Geschichte ist nicht von gestern. Ad multos annos!
* Den Kulturpreis des Main Kinzig Kreises gibt es seit gut 40 Jahren für „herausragende kulturelle Leistungen". Die meisten der bisher weit mehr als 100 Preisträger – Einzelpersönlichkeiten oder Gruppen – waren bildende oder darstellende Künstler, Musiker und Schriftsteller. Relativ selten indes wird der Preis für Heimat- und Zeitgeschichtliche Forschung vergeben. Für Forschung in unserer Region oder mit einem wesentlichen Bezug dazu. Preisträger in den letzten 20 Jahren waren Gretel Callesen (Archäologin), Werner Kurz (Journalist und Historiker), Burkhard Kling (Museumsleiter) und – unvergessen – Monica Kingreen (Thema: Jüdisches Landleben vor dem Holocaust).
Die Laudatio hielt Prof. Dr. Heinz Schilling, Kulturanthropologe (Vorsitzender der Kulturpreisjury),
13. November 2018, Main-Kinzig-Forum