2011 kippenberg

2011 • Musik

Leander Kippenberg

Frankfurt/Main 1991

www.leanderkippenberg.com



Leander Kippenberg

Eines wollte Leander Kippenberg schon immer: Fliegen lernen! Als kleines Kind hat er das sehr oft versucht. Zum Beispiel indem er mit einem Regenschirm von einem Holzstoß heruntersprang oder mit Flügeln aus Holz und Pappe einen steilen Abhang herunter rannte.

Laut seiner Mutter Angelika war Leander ein “waschechter Dorfbub”. Die idyllische Natur im schönen Ahlersbach – ein kleines Dorf, das zu Schlüchtern gehört – bildete also das Übungsfeld für seine ersten Flugversuche. Und die Künstler-Werkstatt seiner Eltern fungierte als reichhaltiges Ersatzteillager.

Auch heute noch sieht sich Leander als ein “Luftmensch”, nach eigenen Worten als ein “Suchender nach der absoluten Freiheit”. Gewiss sind derart erhabene Ansprüche für einen jungen Menschen von 20 Jahren legitim. Gerade dann, wenn er sich ein so luftiges Medium wie die Musik ausgesucht hat, um zu Höhenflügen anzusetzen! Das Cello ist nun sein Fluggerät. Und wir konnten es gerade selbst erleben: auf seine Reisen in hohe musikalische Sphären nimmt Leander uns Zuhörer mit.

Für das Cello hat Leander schon früh eine Vorliebe gehegt. Er bekam mit 9 Jahren seinen ersten Unterricht bei Felix Koch in Frankfurt. Seine Mutter erinnert sich, dass er dieses Instrument von Anfang an “recht gut” gespielt habe. (Das ist sicherlich eine Untertreibung!) Sie sagt, Leander habe sofort ein besonderes Klangempfinden und ein sehr gutes Ohr unter Beweis gestellt. Die Mutter hat das Talent ihres Sohnes für dieses Instrument also gleich erkannt. Und dass er sich ein Streichinstrument ausgesucht hat, wird für die professionelle Geigerin sicherlich eine Freude gewesen sein. Auch Leanders Vater Thomas dürfte das gefallen haben.

So sind wir bei den Eltern: Den meisten Menschen hier im Saal werden die Namen Angelika und Thomas Kippenberg schon bekannt sein. Angelika ist Geigerin in der Deutschen Kammerphilharmonie in Bremen. Thomas wurde als Musiker ausgebildet, als Schauspieler weitergebildet und ist nun bildender Künstler mit dem Schwerpunkt im Masken- und Figurenbau. Im Jahr 1992 – da war Leander gerade mal ein Jahr alt – erhielten die Beiden den Kulturpreis des Main-Kinzig-Kreises für das von ihnen gegründete “Wiener Masken- und Musiktheater”.

Beide Eltern sind also Künstler im besten Sinne. Aber solch eine Konstellation muss nicht unbedingt leicht für den Nachwuchs sein. Wie vorschnell kann von einem “Künstler-Kind” erwartet werden, dass es einmal automatisch in die Fußstapfen der Eltern treten wird! Der Philosoph Friedrich Schleiermacher sagte gar einmal: “Je mehr wir unsere Kinder lieben, desto weniger kann uns genügen, dass sie in unsere Fußstapfen treten; sondern die Kinder sollten besser werden, als die Eltern waren.” Doch dies kann auch schnell zu einem Überdruck führen, an dem ein Kind zerbricht. Wenn es sich nicht dadurch rettet, einen ganz anderen Weg als den der Eltern einzuschlagen…

Ganz anders aber im Fall Leander Kippenberg! Leander spielte zwar “ganz gut” das Cello, es stand aber keineswegs fest, dass er dies einmal so intensiv tun würde wie heute. Und man verlangte auch gar nicht von ihm, dass er einmal Musiker werden solle. Im Gegenteil: In seiner Jugend hatte er 1000 andere Interessen: Bogenschießen, Basteln, Motocross fahren, Rüstungen schustern und vieles mehr. Und das war alles erst einmal viel interessanter als Cello-Üben. So hielt seine Mutter – ihrer eigenen Aussage zufolge “ganz ohne zu hadern” – es für besser, ihn vom Unterricht abzumelden.

Sie hat es nicht getan! Das ist heute unser Glück! Und warum nicht? Weil Leander selbst lautstark dagegen protestierte. Den Grund dafür können wir uns denken, wenn wir ihn spielen sehen: Er liebt sein Cello, weil dieses Instrument es ihm ermöglicht, sich ganz der Musik hinzugeben.

Das Cello ist für Leander eine Art “fliegender Teppich”, auf dem er frei schweben kann, ohne herunterzufallen. Das dürfte er damals schon gespürt haben und womöglich liegt Leanders größte Gabe gerade darin, rechtzeitig zu erkennen, was er will und was er nicht will. Leander hat also selbst seinen Weg zum Instrument gefunden und er hat aus eigener Motivation heraus diesen Weg weiter eingeschlagen. Die Eltern ließen ihm seine Freiheit. Und hieran sieht man, dass beides – ein gewisses Talent und eine liebevolle, aber durchaus zurückhaltende Förderung – zusammen kommen muss, damit etwas Großes entstehen kann.

Seit dieser Begebenheit war das Cello-Üben kein Thema mehr. Und die nächsten Hürden nahm der “Luftmensch Leander” wie im Flug:
2004: Mitglied des Jugend-Sinfonie-Orchesters des Landes Hessen
2006: Teilnahme am Bundeswettbewerb “Jugend musiziert”
2006: Aufnahmeprüfung als Jung-Student an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt

In Frankfurt lernte Leander bei Prof. Michael Sanderling. Der Lehrer betreute ihn nicht nur musikalisch, sondern stand ihm auch sonst im Leben väterlich zur Seite. Von Sanderling kam auch der Ratschlag, Leander solle nach seinem Realschulabschluss nach Berlin in ein Musikgymnasium gehen. Dort verbrachte Leander die Jahre 2007 bis 2009, bis Sanderling seinen Schüler wieder bei sich in Frankfurt aufnahm, diesmal als Voll-Student an der Musikhochschule. Leander besuchte in der folgenden Zeit auch mehrere Meisterkurse bei renommierten Professoren in ganz Deutschland. Und 2010 wurde er Preisträger beim Wettbewerb der Frankfurter “Peter Pirazzi Stiftung”, wo er ein Stipendium gewann.

Als Prof. Sanderling damals Leander zum ersten Mal spielen hörte, rief er übrigens spontan heraus: “Den nehme ich!” Ähnlich äußerte sich auch vor ein paar Monaten die englische Professorin Louise Hopkins. Am Telefon riet sie der Familie Kippenberg zunächst noch davon ab, den Sohn nach London zu schicken. Leander – der wieder einmal wusste, was er will – sendete ihr dennoch ein selbst produziertes Bewerbungsvideo zu. Und nachdem die Professorin sich das angeschaut hatte, meinte sie nur: “Du musst definitiv nach London kommen!”.

In London begrüßte Frau Hopkins Leander mit den Worten: “Du bist so begabt; du musst hier lange studieren!”. Was erst einmal wie ein Widerspruch klingt, zeigt, mit welcher Fürsorge seine Lehrer ihn begleiten. Und tatsächlich nimmt Frau Hopkins ihn an der Hand. Sie hilft ihm, sein Leben als Student in einer fremden Stadt zu organisieren und lässt ihre Kontakte spielen, um ihm ein privates Stipendium zu verschaffen. Denn London ist nicht ganz so preiswert wie Schlüchtern.

Ich halte dies für besonders erwähnenswert! Denn hieran lässt sich nachvollziehen, wie vorteilhaft es ist, wenn ein junges Talent auf ein bereitwilliges gesellschaftliches Umfeld trifft: auf gute Freunde, gute Pädagogen, gute Eltern, und auch auf gute Institutionen. Es ist wirklich gut, dass es so zahlreiche Instanzen gibt, die Leanders Flug durch die musikalische Welt begleiten und fördern – jede auf ihre eigene Weise. Der Nachwuchsförderpreis des Main-Kinzig-Kreises ist ein Beitrag dazu.

Zurück zu unserem Förderpreisträger und seiner musikalischen Ausrichtung. Denn schon diese ist aller Ehren wert: Leander spielt nicht nur Solo-Cello, sondern auch in unterschiedlichen Ensembles und Gruppen gemeinsam mit anderen Musikern.
Er hat keine Scheu vor neuen, ungewohnten Musikstilen und fühlt sich in vielen musikalischen Epochen wohl. Auch wenn es um Improvisation geht – also um spontanes Spiel aus dem Stehgreif – kennt er keine Berührungsängste. Im Jazz genauso wie im Bereich der Neuen Musik.

Außerdem komponiert Leander auch selbst eigene Werke, natürlich für Cello und Klavier, aber auch für ganz andere Besetzungen. Eines seiner Stücke hat er selbst beim internationalen Johannes Brahms Wettbewerb im österreichischen Pörtschach uraufgeführt. Und da erreichte er von 65 Teilnehmern das Finale und gewann den 4. Preis!

Lassen wir zum Abschluss ein paar Experten über Leander urteilen:

“Leander verfügt, trotz seines jungen Alters, über die ungewöhnliche Fähigkeit, ein Musikstück in allen Facetten zu durchdringen und es auf außerordentlichste und überzeugendste Art zu reflektieren und darzustellen.” (Friederike Latzko, Solistin der Deutschen Kammerphilharmonie)

“Seine Neugierde und sein Ausdruckswille machen ihn nicht nur zu einem gewissenhaften Cellisten, sondern auch zu einem Grenzüberschreiter, einem Spieler im allerbesten Sinne.” (Stephan Schrader, Lehrbeauftragter an der Hochschule für Künste in Bremen)

“Leanders Cellospiel ist tiefgründig und ausdrucksstark, seine Interpretation feinfühlig und außergewöhnlich reif.” (Prof. Wen-Sinn Yang, Vizepräsident der Hochschule für Musik und Theater in München)

Leander Kippenberg: Das ist ein äußerst begabter, mit 20 Jahren fast schon ein “fertiger” Musiker und Cellist. Ein “Überflieger”! Im Main-Kinzig-Kreis sind wir jetzt schon stolz auf ihn und wünschen ihm weiterhin viel Rückenwind und starken Auftrieb. Den diesjährigen Nachwuchs-Förderpreis übergeben wir ihm mit besonderer Freude. Er möge ihn weiter in seinem Tun beflügeln! Und wir hoffen, dass wir hin und wieder in den Genuss kommen werden, seiner Musik zuzuhören und uns mit ihm in hohe musikalische Gefilde zu begeben.

Die Laudatio hielt
Erich Pipa
Landrat des Main-Kinzig-Kreises