2010 schilling

2010 • Heimat- und Zeitgeschichtliche Forschung

Prof. Dr. Heinz Schilling

Seligenstadt 1942

www.heinzschilling.de



Prof. Dr. Heinz Schilling

"Ich lebe jetzt nahezu die Hälfte meines Lebens im Main-Kinzig-Kreis. Vorher habe ich in Dorf und Kleinstadt und in Großstädten gewohnt. Nirgendwo hat sich mir die Frage nach "Heimat" - als Wort für ein raumbezogenes Lebensgefühl gestellt. Vielleicht kam die Frage in mir auf, als ich Orte miteinander verglich, wo ich gelebt habe. So ein Vergleich von Lebens-Zeiten da oder dort hat auch zu tun mit meiner Lebenszeit insgesamt. Der Main-Kinzig-Kreis, denke ich heute, ist für mich eine ideale Heimat. Warum?

Er ist keine von oben verordnete Heimat, sondern ein Raum der Aneignung und Auseinandersetzung. Heimat ist Raum des demokratischen Aushandelns und letztlich der Vereinbarung mit anderen über Sinn und Wert dieses Raumes.
Der Main-Kinzig-Kreis stellt für mich von Anfang an eine einzige Aufforderung dar, etwas mit ihm anzufangen:

- mich 1978 mit Familie niederzulassen in Kilianstädten und dabei ein altes bäuerliches Gehöft umzugestalten zu einem modernen Domizil
- am Ort kulturell kreativ und politisch aktiv zu werden
- im Nachbarort zu forschen über Leben und Zusammenleben von Menschen, aber auch in Nachbarorten vom Nachbarort. Und in Züntersbach und Schlüchtern, in Freiensteinau und Salmünster und Klein-Auheim
- und seit kurzem Initiative zu leiten mit einem ausdrücklich regionalen Blickfeld für ihre Kulturarbeit (Hirzbacher Kapelle in Hammersbach-Marköbel.

Ein aktiv gewonnenes, selbstbewußtes Heimatbewusstsein ist mir grundsätzlich lieber als eine Heimatliebe, die mir vermittelt, beigebracht, vorgesetzt wird und deshalb auch politisch gesteuert werden kann. Heimat ist der Raum einer aktiven Aneignung und Gestaltung.

Erdung-Einsicht-Ausblick. Meine Heimat im Main-Kinzig-Kreis geht also über den Ort hinaus, erstreckt sich vom Stadtrand der Metropole Frankfurt in eine vielfältige Landschaft beiderseits des Tals der Kinzig zum Wandern, Entspannen, Besichtigen, Entdecken und... um sie mit ihren Schönheiten dem Besuch aus der Ferne zu zeigen."

Mit diesem Statement umschreibt der Kulturanthropologe und europäische Ethnologe Professsor Dr. Heinz Schilling nicht nur seinen privaten Bezug zur Region, sondern skizziert auch im Wesentlichen den Forschungsbereich, der ihn seit Jahren beschäftigt: Heimat.

Heinz Schilling wurde am 3. November 1942 in Seligenstadt geboren. Nach dem Abitur in Bensheim begann er 1964 in Frankfurt Volkskunde, Germanistik und Politik zu studieren. Auf den Magisterabschluss folgte die Promotion mit der Doktorarbeit über ein Thema der Alltagskultur.
Anschließend arbeitete er sieben Jahre als Kultur- und Wissenschaftsredakteur beim Saarländischen Rundfunk. "Gemessen am weiteren Lebensweg war diese Zeit ein ideales Praktikum" erinnert er sich. Denn im Mittelpunkt des Programm-Machens stand das Gespräch mit Menschen, das Interviewen. Das Fragen-stellen, Antworten-diskutieren, Nachfragen, Analysieren wurde ihm zur Methode.

Gegen Ende der 1970er Jahre kehrte er zurück zur Uni. Die Kulturanthropologie hatte es ihm angetan. Es reizte ihn, einen originellen Studiengang in Frankfurt mit aufzubauen und sogleich an einem großen Forschungsprojekt mitzuarbeiten.

Es war die Pilotuntersuchung zur hessischen Dorferneuerung und beinhaltete Recherchen vor Ort, Ausarbeitung von Sanierungskonzepten sowie die Koordination von Bürgerinteressen, Planern und Politikern. Letzteres kristallisierte sich zu seinem Spezialthema mit immer neuen Fragenkomplexen heraus.: Wie verändert sich eine Gemeinde, wenn sich in kurzer Zeit viele Menschen ansiedeln? Ist Region lediglich eine Planungsgröße oder wie kann sie eine Form von Heimat sein? Welche Bedeutung hat Geschichte in unserer Zeit der sich jagenden Medienbotschaften?

1993 habilitierte sich Heinz Schilling mit Forschungen zu der Frage, ob die Urbanisierung des Rhein-Main-Gebietes zu einer urbanen Region führt oder zu einer Vervorstädterung mit einer neuen Dörflichkeit. Im gleichen Jahr wurde er Privatdozent, 1998 außerplanmässiger Professor. Er wurde 2005 emeritiert.
Seit 30 Jahren wohnt er mit seiner Frau Karin im Schönecker Ortsteil Kilianstädten, anfangs gemeinsam mit Tochter Hellen. Seit anderthalb Jahren sind sie stolze Großeltern.

Neben seinen unzähligen Forschungsprojekten und Publikationen engagiert er sich als Schönecker Bürger ehrenamtlich. Er war in den 1980er Jahren Vorsitzender der Kulturinitiative Schöneck und lange im Denkmalschutz-Arbeitskreis "Altes Kilianstädten" aktiv. Er ist im wissenschaftlichen Beirat des Archivs "Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis" und ist 1. Vorsitzender vom Förderverein Hirzbacher Kapelle.

Aktuelle Fragen treiben ihn aus dem Ruhestand zu Fachtagungen und zur Veröffentlichung von wissenschaftlichen Essays. Im September 2010 beteiligte er sich an der Fachtagung der Schaderstiftung mit dem Referat "Gute Integrationspolitik macht die ländliche Region zukunftsfähig" Die spannendste Frage heißt für ihn im Augenblick:

"Wirkt die Vorstellung einer über den Ort hinausgehenden, regional begriffenen Heimat wie ein Puffer gegenüber den massiv anbrandenden Veränderungszumutungen durch das, was wir Globalisierung nennen?
Zeigt die Main-Kinzig-Region als eine - aus meiner Sicht - "flexible" Heimat gerade in dieser Zeit ihre Stärke?"

Ruth Defoy