1993 wies

1993 • Theater

Wies Diethard

Emmershausen 1947

www.wiesundkunst.de



Diethard Wies

"Wenn wir hier kein Theater machen, wer dann, bitteschön?" fragt Diethard Wies provokant, krempelt die Ärmel hoch, baut Guck- und Kurbelkasten auf, stellt die Bänkeltafel ins Blickfeld, rückt die Nickelbrille zurecht und legt los. "Uff de Gass, fier de Fabrik, hinnere Kirch, em Schwimmboad …" spielt er Straßen-, Volks- und Anti-Theater für Kinder und Erwachsene, Erwerbslose, Umweltinitiativen, Ausländer, Amnesty International, Behinderte, Anti-Drogen-Gruppen oder einfach nur für Hinz und Kunz.

Wies ist der Prinzipal der "Baufirma Meissel und Co", deren Name sich auf ein gleichnamiges Stück von Karl Valentin bezieht und des Vogelsberger Griebentheaters.

1947 im Taunus geboren, wächst er dort und in Frankfurt am Main auf und studiert an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Erziehungswissenschaften. 1967 gründet er die "Baufirma", die mittlerweile als ältestes deutsches Straßentheater gilt, und leitet seitdem Seminare und spielpädagogische Projekte für Kinder und Erwachsene.

Drei Jahre lang, bis 1975, ist er Geschäftsführer des Jazz-, Theater- und Filmzentrums "Sinkkasten" in Frankfurt, während er hauptberuflich mit Lehraufträgen an Schulen und als Kabarettist beschäftigt ist. 1973 veröffentlicht er zusammen mit Claus Biegert "Kinder sind kein Eigentum — ein Theaterexperiment" im Piper Verlag, arbeitet und veröffentlicht im Puppenzentrum Frankfurt.

Seit 1977 ist er Lehrer, zunächst im Taunus, kommt 1984 nach Brachttal, wird dort 1986 Konrektor und ist seit 1998 Rektor der Grundschule in Kerbersdorf.

In der "Baufirma Meissel" firmieren seit 1974 unter "Co" Diethard Wies’ Ehefrau Erika, sein Bruder Ulf Wies, Rüdiger Cibis, Gerhardt Eidt und in letzter Zeit vor allem sein Sohn Tjaard. Im Stil von Vaganten- und Jahrmarkttheater präsentieren die Akteure Szenen, die sie aus Anekdoten, Sagen, historischen Begebenheiten und aktuellem Geschehen entwickelt haben. "Wir benutzen die ganzen Kulturformen für unser eigenes Konglomerat und das ist das Theater der Fahrenden. Wir setzen uns im Grunde daneben (das heißt "neben" Abonnementtheater und etablierte Kultur — Anmerkung der Autorin), das ist eine spannende Sache," erklärt Wies.

Spielorte der "Baufirma Meissel und Co" sind A wie Arnheim in den Niederlanden, Alsfeld und Aschaffenburg, über Deggendorf, Great Yarmouth in England, Helsinki, Murnau bis Ronneburg, Turku in Finnland, Wien und Wächtersbach.

Seit 1985 gibt es das Projekt "Vogelsberger Griebentheater", das Wies als Ableger und Jugendarbeitsprojekt der Baufirma gegründet hat. Mit finanzieller Unterstützung vom Main-Kinzig-Kreis, von der Gemeinde Brachttal und der Stadt Wächtersbach erarbeiten alljährlich theaterinteressierte Jugendliche eine Programmfolge und ziehen damit in den Sommerferien in einem Planwagen übers Land. In diesem heimatverbundenen Projekt komprimieren die Jugendlichen Brauchtumspflege, lokale Spurensuche, Beschäftigung mit Mundart mit kritischen Fragen zu Umwelt- und Tierschutz und sozialem Verhalten zu einer "Geschichte von unten". Ihre Produktionen haben so originelle Titel wie "Lisa, die Kuh — ein Rindermelodram", "Der Brudermord in Spielberg — ein erster Vogelsberger Hamlet" oder "Räuber GmbH".

Neben seinen Aufgaben als ehrenamtlicher Intendant gibt Diethard Wies weiterhin Workshops für Dramaturgie, Regie, Masken- und Puppenbau, leitet Sensibilisierungstrainings und unterrichtet in der Lehrerfortbildung.

Außer dem Main-Kinzig-Kulturpreis 1993 erhält Diethard Wies für das Vogelsberger Griebentheater den Kulturpreis der Stadt Wächtersbach.

1995 veröffentlicht der Prinzipal die Dokumentation "Das Vogelsberger Griebentheater: Alls de Dabbe nach!", das sommerliche Wandertheater wird kontinuierlich fortgesetzt, seit 1999 mit einem neuen Konzept, das die Zusammenarbeit mit lokalen Gruppen vorsieht.

Gemeinsam mit Elke Mai-Schröder und Gisela Makatsch bringt Diethard Wies im Jahr 2000 den Leitfaden "Ängstlicher Riese und mutige Maus" heraus. Er vermittelt darin "Handreichungen" zur Arbeit mit dem Rahmenplan Grundschule "Darstellendes Spiel". Höhepunkt der Spielzeit 2000 sind Auftritte der "Baufirma Meissel und Co" auf der Expo in Hannover.

Nach seinem "Vogelsberger Hamlet" erfüllt sich Wies einen weiteren theatralischen Wunsch und inszeniert für die Freilicht-Saison 2001 "Hessische Valentinaden". Sein Motto: "Je abstruser, je weiter hergeholt, um so mehr Valentin!"

 

Rede zu einem Preis

Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Jury, sehr geehrte Damen und Herren,

Inere Zeit, in dere aus welche Grinn aach immr, nur doas zählt, wos mer met em gruße Profit verkaafe koann, bekimmt der Chef vo em Zielgrubbetheader, em Anditheader — wäi me säiht — doas fer Kiann, Erwetslose, Umweltinitiatiwe, DreatteWealtGrubbe, Auslenner, Amnesty, Hinz un Kunz, Behinnerte un Andi-Droche-Grubbe speele douht, uff de Gaß, fier de Fabrik, hinnere Kirche, woanns goarnäit annrscht gitt em Schwemmboad, uff Meert, hiechstens emol im Kabarett, weenich odder goarnäit im Theater, en Kuldurpreis.

Inere Zeit, in dere inere Baankstadt goarnäit weid furt vo häi es Kinndertheader schwuppdich aus finanzielle Grinn zougemoacht is worn, freie Theadergrubbe wäi mir die Spielstätten gekinnicht wern, un däi Kuldurdezernendin innichneecht onn effendlich gesaaht hot: "Basiskultur kenne ich nicht, das Wort müsste mir mal jemand erklären..." kräiht häi eam Kreis e Grubb Kiann en Kuldurpreis wo ibber Wasserraubbau im Vuchilsberch spiele douht. Fier Hauptschiler, Bauern ean Hausfraae.

Do homr häi soe Jury, däi babbeld näit nur vo Kuldur vo onne, vo Kuldur fier onne — däi lobt se aach noch defier...

Däi gruße Abbodemonghteader hänge in de Loft, schreibe däi vo de Rundschau. Se mißte Akrobadik learne, om näit uff die Freasse ze falle. Dos sain däi Theader, wo näit zou de Leut komme, doas sain däi, wo in gruße halbleere Halle hocke uff Stootskoste. Warom fiern me kenn Theaderzwang ian? Kä Kiann dät in die Schoul gieh, woanns näit mißt.

Is näit es Theader aach e weng Schoul? Inere Stoadt, met sahmermoal hunnert Schoule, jed met 300 Kiann, mecht zesamme 30 dausend oam Doach, mojens Schoul, meddoachs ab ins Theater, jed Kiann zwee Mark Intritt, o finnef Doach in de Woache mecht en Emsatz vo Ellef-Millione-hunndertdausend bei siwwweandreissich Schoulwoache, Fierche oabgezooche.

So kammer e Theader redde und erwetslose Schauspielr wär geholfe. Un erscht däi Ellern ean Grußellern. All medenoannr 365 Doach im Joahr em Theader — Es Volk vo Dichter un Denger käm nimmi fir die Glotze, hätt kää Zeid ferzum Keechele, Stammdischgebabbel un beese Gesellschaftsspiele.

Was en orndliche Bercher is, der weß, er muß ins Theader.

Näit med Freikoarde kammmer de gruße Theader uff die Bee healfe, näit met deure Gedrängeautomade im Foyer. Ebber dorch Zwoang. Un zweange konn ean Stootsbürcher nor de Stoot.


Ganz herzlichen Dank.

Den Preis nehme ich nicht nur für unser Straßentheater und unser Jugendprojekt sondern auch für unser Publikum gerne an.

Diethard Wies | 10.02.1994