Page 86 - MKK Kulturpreisträger 25 Jahre Katalog
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199586sie 1914 nach Sibirien verbannt. Nach- dem der Vater im Austausch für einen russischen Kriegsgefangenen nach Deutschland transportiert worden war, schlug sich die Rest- familie acht Jahre lang unter den schwierigsten Umständen alleinein Sibirien durch, bis ihr 1922 die Flucht zum in Berlin lebenden Vater gelang.Alexandra Harder nahm Privat- unterricht und begann an der Hoch- schule der Bildenden Künste zu studieren, wo sie ihren Mann, Alex- ander Harder-Khasán (1977 der erste Kulturpreisträger des Main- Kinzig-Kreises) kennenlernte und 1927 heiratete. Als ihr Mann eine Berufung zum Art Instructor nach Kansas in den USA erhielt, aberdie Stelle nicht antreten durfte, weil er einen russischen Geburtsort hatte, entschied sich das junge Paar 1929 den Umweg über Kanada zu neh- men. Sie überwanden behördliche und existentielle Hürden, arbeiteten als Landarbeiter, Dekorateure, Küchenhilfe, Erzieher und kamen über die Stationen Winnipeg, Vancouver, San Francisco 1932 nach New York. Hier jobbten sie als Börsenmakler und Gesellschafterin.Beide malten weiter, konnten aber als Künstler nicht Fuß fassen, da die amerikanische Kunstszene und das kulturelle Leben Anfang der 1930er Jahre noch in einer deso- laten Situation waren. Als sie vom deutschen Konsulat die Aufforde- rung erhielten „heim ins Reich“ zukommen, entschlossen sie sich 1935 nach achtjährigem Aufenthalt im Ausland und in Verkennung der politischen Lage zur Rückreise. Ihre Naivität wurde bitter bestraft: Sie mussten sich der Reichskulturkam- mer anschließen, um arbeiten zu können, aber ihr Mann wurde erst im zweiten Anlauf angenommen, bekam 1938 Ausstellungsverbot als sogenannter „entarteter Künstler“ und wurde zwangsumgeschult. Für eine Ausreisegenehmigung war es zu spät, man saß in Nazi-Deutsch- land fest. Inzwischen war Tochter Franziska auf die Welt gekommen, Alexandra Harder arbeitete im Kunsthandel, stellte Bilderkollektio- nen zusammen und hielt den Kon- takt zur immer unbedeutender und kleiner werdenden Kunstszene.1939 wurde ihr Mann zum Mili- tär eingezogen und in Russland eingesetzt. Die junge Mutter über- lebte den Krieg in Berlin und später in Wernigerode. Durch die Hilfe eines befreundeten Architekten konnten sie 1949 in ein halbes Haus in Hanau ziehen. Hier gab es dann wieder erste Kontakte zu Kollegen und Ausstellungen. Seit 1954 hat Alexandra Harder an jeder Ausstel- lung der Künstlervereinigung Sim- plicius mit eigenen Arbeiten teil- genommen. Ab den 1980er Jahren engagierte sie sich sozial für russi- sche Künstlerkollegen, organisierte Unterkünfte, Arbeits- und Ausstel- lungsmöglichkeiten. 1985 starb ihr Mann, „wir waren ein gutes Team,“ sagte sie rückblickend und meintedamit auch die ständige Diskussion um inhaltliche und stilistische Fra- gen. Zwischen 1960 und 1980 war siein über 70 Galerien in der Bundes- republik ständig präsent. 1990 war eine Sonderausstellung zu ihrem 85. Geburtstag so erfolgreich, dass sie kaum Zeit hatte, sich von ihren Arbeiten zu verabschieden.Ilse Werder interpretierte den Erfolg in einem Artikel wie folgt: „In vielen Besuchern war durch diese Bilder etwas angerührt worden, das bisher verschüttet war. (...) Die zarte, starke Frau von 85 mit der anmutigen, ja eleganten Haltung und der frischen Schaffenskraft hat die Bewunderung vieler Kunstfreunde.“25 JAHRE KULTURPREIS DES MAIN-KINZIG-KREISES


































































































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