Page 85 - MKK Kulturpreisträger 25 Jahre Katalog
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Alexandra HarderSt. Petersburg 1905 – Hanau 2001„Ein seltsamer Aspekt charakteri- siert die Geschichte der Berufskarriere dieser zierlichen alten Dame: Im Alter von 80 Jahren kam ihre erste Einzelausstellung zustande, obwohl sie ihr Leben lang in dem erlernten Beruf tätig war und damit ihren Lebens- unterhalt bestritt.Die darauf folgende Zeit hatte noch manche Überraschung im Hin- blick auf ihre künstlerische Wand- lungsfähigkeit bereit. War man über Jahrzehnte daran gewöhnt, in Alex- andra Harders Arbeiten eine groß- zügige Dekorative in subtilen Farb- nuancen zu erblicken, so änderten sich die Collagen zu immer kleineren, diffizileren Bildtafeln hin. Die Sagen- welt Griechenlands hatte eine Hin- wendung zu den Heiligenlegenden des Christentums bewirkt. Ihre Motive sind nun kleinformatig und strahlen trotz der erzählenden Einzelheiten eine überzeugende Kraft, Intimität und naive Gläubigkeit aus, die man- chen Ikonen in ihrer orthodoxen Spiritualität nahestehen. Es sind Kupferplatten, auf Holz aufgezogen, die ihrer Malerei als Untergrund dienen. Kupfer übermalt, überklebt – manchmal taucht es blank gerieben aus dem Untergrund hervor – gleich- sam wie die Gedanken eines Erzählers im Sprechen Erfahrung ausformen. Aber selbst die Collage als Stilmittel hat in Alexandra Harders Gemälden neuerdings einen anderen unvergleich- lichen Stellenwert bekommen: Diente sie in früheren Jahren der Verfremdung und Bereicherung eingeübter Seh- erfahrungen, so gewann sie später1995zunehmend den Charakter einer Über- malung. Nicht die Collage verfremdet das Bild, sondern sie gibt es frei, sie zeigt, was unter ihr verborgen ist. Das Sujet blitzt auf unter der „Geschichte“ der Collage. Es mutet an wie eine Er- kenntnis, die sich unter den Schicksals- wegen bildet und an Klarheit gewinnt, während die äußere Haut zerreißt. Man ahnt, hier sei ein hohes Alter mit Lebensreife in Einklang.“Diese künstlerische Würdigung verfasste die Malerin Franziska Haslinger 1995: eine Hommage voneiner Künstlerin an eine andere, eine hochachtungsvolle Liebes- erklärung von einer Tochter an ihre Mutter!Alexandra Harder wurde 1905 im russischen St. Petersburg als Tochter eines Druckereibesitzers geboren. Sie genoss eine gutbürger- liche Erziehung in einem kunstin- teressierten Ambiente. Der Beginn des 1. Weltkrieges bereitete der heilen Welt ein jähes Ende: Weil die Familie ihre deutsche Staatsbürger- schaft nicht aufgeben wollte, wurde8525 JAHRE KULTURPREIS DES MAIN-KINZIG-KREISES