Page 82 - MKK Kulturpreisträger 25 Jahre Katalog
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1994 Ludwig Sommer Lampertheim 1927Wenn samstags um 11.15 Uhr das Glockenspiel vom Turm des Neustädter Rathauses in Hanau er- klingt, so ist es Ludwig Sommer, der den Glocken die metallisch-hellen Töne entlockt. Seit 1977 nimmt er die Tradition aus dem 18. Jahrhun- dert wieder auf, nachdem das his- torische Instrument in napoleoni- scher Zeit zerstört worden war. Das Programm stimmt er auf Jahres- zeiten und kulturelle Ereignisse ab, so kommen Volksweisen zu Gehör, oder es erklingen Kompositionen, die in Relation zu den örtlichen Sinfoniekonzerten stehen, oder Werke, die einen Bezug zu Märchen haben. Die Auswahl reicht von „O, du lieber Augustin“ und „Komm, lieber Mai“ bis zu weihnachtlichen Chorälen, von der Musik des Barock bis zur Moderne.Sommer hat alle Werke speziell für das Glockenspiel bearbeitet, denn ihm stehen auf dem Instrument nur 23 Klangkörper zur Verfügung. Eine besondere Verpflichtung erfüllt ergegenüber Hanauer Komponisten und Kompositionen: der erste Satz der dritten Sinfonie für Klavier von Paul Hindemith ertönt (automatisch eingespielt) zu jeder vollen Stunde, täglich um 16 Uhr wird ein Menuett gespielt, das vor mehr als 200 Jahren auf dem historischen Glockenspiel aufgeführt wurde und dessen Noten Sommer per Zufall gefunden hat.Aber Ludwig Sommer ist weit mehr als „die Seele des Glocken- spiels“, er war bis zu seiner Pensio- nierung 1977 ein engagierter Musik- pädagoge und er war und ist ein leidenschaftlicher Musikhistoriker!Mit sieben Jahren beginnt der Bäckersohn Geige zu spielen, mit zehn Jahren kommt Unterricht am Klavier hinzu. Nach dem Abitur studiert er an der Musikhochschule und an der Universität in Heidel- berg und erwirbt dort das Hand- werkszeug, um sein Hobby zum Beruf zu machen. 1958 kommt er nach dem Referendariat an die Karl- Rehbein-Schule. Hier setzt er sich mit großem Eifer für die Einrich- tung eines „Musischen Zweiges“ ein, in dem Musik- oder Kunster- ziehung als erstes Hauptfach im Abitur gewählt werden konnten. Diesen Oberstufenzweig gibt es bis 1977, danach werden im neu ge- schaffenen Kurssystem „Musikleis- tungskurse“ angeboten. Wie nach- haltig Ludwig Sommer als Pädagoge wirkt, zeigt, dass zwei seiner Schüler – Daniel Krüerke und Krystian Skoczowski – zu Förder-preisträgern des Main-Kinzig-Kreises gekürt werden. Sein Sohn Andreas tritt in Vaters musikpädagogische Fußstapfen und leitet mittlerweile die Jugendmusikschule in Hanau- Steinheim.Als Musikhistoriker beschäftigt er sich mit der lokalen Musikge- schichte, forscht nach Komponisten, die in der Stadt tätig waren oder deren Werke einen Bezug zu Hanau haben. Im Zusammenhang mit der Ausstellung „Hanau im Vormärz und in der Revolution 1848“ ent- deckt er „revolutionäre“ Musikstücke, wie den „Rundgesang zur Ehrung der Konstitution“, „Krawallwalzer“, „Flennwalzer“ und den „Marsch zur Fahnenweihe der Bürgergarde“. Später stößt er auf eine Oper von Johann André, die 1773 im Hanauer Theater aufgeführt worden ist, entreißt die Komponisten Johannes Jeep (16. Jahrhundert) und Johann Michael Müller (18. Jahrhundert) dem Vergessen und findet heraus, dass Adolph Freiherr von Knigge während seines Hanauer Aufent- haltes unter anderem sechs Sonaten für Klavier schrieb.Für Johann Andrés komische Oper „Der Töpfer“ arrangiert Ludwig Sommer 1992 nach einem Klavierauszug eine konzertante Aufführung im Comoedienhaus. Mit seinem Beitrag im Lexikon „Musik in Geschiche und Gegen- wart“ hat er unter dem Stichwort „Hanau“ schließlich selbst Geschichte geschrieben.8225 JAHRE KULTURPREIS DES MAIN-KINZIG-KREISES


































































































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