1994 sommer

1994 • Musik

Ludwig Sommer

Lampertheim 1927 - ?



Ludwig Sommer

Wenn samstags um 11.15 Uhr das Glockenspiel vom Turm des Neustädter Rathauses in Hanau erklingt, so ist es Ludwig Sommer, der den Glocken die metallisch-hellen Töne entlockt. Seit 1977 nimmt er die Tradition aus dem 18. Jahrhundert wieder auf, nachdem das historische Instrument in napoleonischer Zeit zerstört worden war. Das Programm stimmt er auf Jahreszeiten und kulturelle Ereignisse ab, so kommen Volksweisen zu Gehör, oder es erklingen Kompositionen, die in Relation zu den örtlichen Sinfoniekonzerten stehen, oder Werke, die einen Bezug zu Märchen haben. Die Auswahl reicht von "O, du lieber Augustin" und "Komm, lieber Mai" bis zu weihnachtlichen Chorälen, von der Musik des Barock bis zur Moderne.

Sommer hat alle Werke speziell für das Glockenspiel bearbeitet, denn ihm stehen auf dem Instrument nur 23 Klangkörper zur Verfügung. Eine besondere Verpflichtung erfüllt er gegenüber Hanauer Komponisten und Kompositionen: der erste Satz der dritten Sinfonie für Klavier von Paul Hindemith ertönt (automatisch eingespielt) zu jeder vollen Stunde, täglich um 16 Uhr wird ein Menuett gespielt, das vor mehr als 200 Jahren auf dem historischen Glockenspiel aufgeführt wurde und dessen Noten Sommer per Zufall gefunden hat.

Aber Ludwig Sommer ist weit mehr als "die Seele des Glockenspiels", er war bis zu seiner Pensionierung 1977 ein engagierter Musikpädagoge und er war und ist ein leidenschaftlicher Musikhistoriker!

Mit sieben Jahren beginnt der Bäckersohn Geige zu spielen, mit zehn Jahren kommt Unterricht am Klavier hinzu. Nach dem Abitur studiert er an der Musikhochschule und an der Universität in Heidelberg und erwirbt dort das Handwerkszeug, um sein Hobby zum Beruf zu machen. 1958 kommt er nach dem Referendariat an die Karl-Rehbein-Schule. Hier setzt er sich mit großem Eifer für die Einrichtung eines "Musischen Zweiges" ein, in dem Musik- oder Kunsterziehung als erstes Hauptfach im Abitur gewählt werden konnten. Diesen Oberstufenzweig gibt es bis 1977, danach werden im neu geschaffenen Kurssystem "Musikleistungskurse" angeboten. Wie nachhaltig Ludwig Sommer als Pädagoge wirkt, zeigt, dass zwei seiner Schüler — Daniel Krüerke und Krystian Skoczowski — zu Förderpreisträgern des Main-Kinzig-Kreises gekürt werden. Sein Sohn Andreas tritt in Vaters musikpädagogische Fußstapfen und leitet mittlerweile die Jugendmusikschule in Hanau-Steinheim.

Als Musikhistoriker beschäftigt er sich mit der lokalen Musikgeschichte, forscht nach Komponisten, die in der Stadt tätig waren oder deren Werke einen Bezug zu Hanau haben. Im Zusammenhang mit der Ausstellung "Hanau im Vormärz und in der Revolution 1848" entdeckt er "revolutionäre" Musikstücke, wie den "Rundgesang zur Ehrung der Konstitution", "Krawallwalzer", "Flennwalzer" und den "Marsch zur Fahnenweihe der Bürgergarde". Später stößt er auf eine Oper von Johann André, die 1773 im Hanauer Theater aufgeführt worden ist, entreißt die Komponisten Johannes Jeep (16. Jahrhundert) und Johann Michael Müller (18. Jahrhundert) dem Vergessen und findet heraus, dass Adolph Freiherr von Knigge während seines Hanauer Aufenthaltes unter anderem sechs Sonaten für Klavier schrieb.

Für Johann Andrés komische Oper "Der Töpfer" arrangiert Ludwig Sommer 1992 nach einem Klavierauszug eine konzertante Aufführung im Comoedienhaus. Mit seinem Beitrag im Lexikon "Musik in Geschiche und Gegenwart" hat er unter dem Stichwort "Hanau" schließlich selbst Geschichte geschrieben.